Debatte : Die Vermessung der Krise
- -Aktualisiert am
Der Buhmann der Konferenz: Ist Alan Greenspan unsterblich? Bild: AFP
Sind alle Ökonomen Autisten? Vielleicht können uns ja Physiker und Biologen aus dem Dilemma helfen - Nassim Nicholas Taleb provoziert mit seinen Thesen die Elite der Wirtschaftswissenschaftler im kanadischen Waterloo.
Nach dem Waterloo der Wall Street lag die Idee womöglich nahe. Ausgerechnet in der kanadischen Provinz Ontario, in der Kleinstadt Waterloo, wurde eine Versammlung einberufen, um das Weltfinanzdebakel zu durchleuchten. In dicht bepackten Konferenztagen wurde hier ein Denkansatz forciert, der darauf abzielt, die Krise völlig neu und mit dazu noch nie hervorgeholten Instrumenten zu vermessen. Schon das Forum der Veranstaltung, das Perimeter Institute for Theoretical Physics, war Programm, auch wenn die Einladungen für die Teilnahme weit über die Grenzen von Ökonomie und Physik hinausgingen und schließlich von Mathematikern, Juristen, Wirtschaftsbehavioristen, Risikomanagern, Evolutionsbiologen, Komplexitätstheoretikern und Computerwissenschaftlern angenommen wurden.
Das Perimeter Institute bietet sich für eine solch heterogene Versammlung als geradezu ideale Plattform an. Ins Leben gerufen von Mike Lazaridis, Gründer der in Waterloo ansässigen Firma Research in Motion, die mobile Kommunikationssysteme wie den BlackBerry entwickelt, will sich die unabhängige, gemeinnützige Forschungseinrichtung von keinen fachlichen Demarkationslinien einengen lassen. Angestrebt wird eine multidisziplinäre Offenheit, die es erlaubt, Fragen zu Raum, Zeit, Materie und Informationsfluss multidisziplinär im Umkreis von Kosmologie und Teilchenphysik, Quantenlehre und Superstringtheorie zu beantworten. Wirtschaftsthemen gelangten bisher noch nicht ins Blickfeld der hier tätigen Wissenschaftler. Die Krise hat sie erst aufgeschreckt und dann ermuntert, die mathematische Basis der Wirtschaft und die Zuverlässigkeit ihrer Analysen und Prognosen zu überprüfen. Was von gegenwärtigen Markttheorien zu halten ist und wie neue, solidere aufzustellen sind, fragt sich inzwischen aber nicht nur die Wissenschaft, sondern die Welt.
Die Evolution als Triebfeder der Wirtschaft
Für Brisanz sorgte indes schon die Besetzung der Konferenz. Dank Teilnehmern wie Nassim Nicholas Taleb, der auch nach seinem Bestsellererfolg mit „Der Schwarze Schwan“ nicht müde wird, die Unberechenbarkeit von Wirtschaftssystemen anzuprangern (Banker weg, wir brauchen eine Revolution!), und dem Biologen Richard Alexander, der die Evolution als maßgebliche Triebfeder jedes wirtschaftlichen Handelns ansieht, mangelte es nicht an kreativem Renegatentum. Das Washingtoner Wirtschaftsestablishment, das den alten, nunmehr diskreditierten Helden der Wall Street inzestuös verbunden bleibt, muss sich auf eine Gegenbewegung gefasst machen, eine transökonomische Avantgarde, die gar nicht daran denkt, sich mit halben Lösungen zufriedenzugeben. So forderte der Mathematiker und Ökonom Eric Weinstein nichts weniger als die Gründung eines „Manhattan Project“ für die Wirtschaft.