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Frauen gegen die SED-Diktatur : Wie DDR-Schriftstellerinnen kämpften

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Zwei Jahre wegen fünfzehn Gedichten

Die achtziger Jahre und das Ding mit der Zensur im Osten – Florian Henckel von Donnersmarcks Film „Das Leben der Anderen“ von 2006 hatte das noch einmal zum umkämpften Terrain gemacht. Große Aufregung: Wieso, gab es denn da überhaupt noch welche? Im Archiv findet man Uwe Keller, 1981 wegen fünfzehn Gedichten zu sechs Jahren und acht Monaten Zuchthaus verurteilt. Frank Romeiß bekam für zwölf Gedichte drei Jahre und sechs Monate. Ralph Arneke schickte seine Texte in den Westen und wurde 1984 wegen „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Rolf Becker, wegen eines einzigen Manuskripts verhaftet, erhielt fünf Jahre und sechs Monate Zuchthaus. Rainer Zander wegen fünfzehn Gedichten zwei Jahre und zwei Monate. Andreas Reimann, vom Literaturinstitut Leipzig exmatrikuliert, bekam vier Jahre Gefängnis. Alexander Richter 1982 sechs Jahre Haft, Begründung: „staatsfeindliche Hetze“. Die Liste ist lang.

Aber ist das denn überhaupt Literatur, wenn da so viel Knast drinsteckt? Die Abwehr steht: Politik versus Kunst. Als die Dichterin Susanne Kerckhoff, 1918 in Berlin geboren – als wichtige frühe Stimme des Ostens im Kampagnenfuror der DDR-Staatsgründung zerrieben und bereits 1950 tot –, 1999, zehn Jahre nach dem Mauerfall, endlich wiederveröffentlicht wurde, mussten sich Leben und Werk gegen etliche Vergessensräume behaupten: gegen den frühen Terror der DDR, gegen die inneren Betäubungen des Ostens nach dem Mauerbau, gegen seine Implosionsgeschichte nach 1989 und nicht zuletzt gegen eine eingespielte Rezeptionsbahn. Die Qualität der Texte? Die Referenzlinien des Verschwundenen? Man kannte beides nicht, also war es nicht gut. Die verfemte Gegenwelt der Diktatur fand auch aufgrund dieser Abwehr kaum Eingang ins Gesellschaftsgespräch. Das war so bis zu diesem Jahr, als die Neuedition von Kerckhoffs „Berliner Briefen“ als „literarische Sensation“ und als „Wunder“ Furore machten und den Literaturmarkt eroberten.

Wenn das Preismodell der Würdigung von eigensinniger Lebenssubstanz und eigensinnigem Text von nun an Standard wird, steht der deutschen Literatur ein Klondike der Texte ins Haus. Denn zu erschürfen, zu ersieben, zu entdecken ist ein ganzes Eldorado, eine vielstimmige unveröffentlichte Literaturlandschaft. Die dritte Literatur des Ostens. Nach den Staatsnahen wie Hermann Kant oder Karl Mickel und den Kritisch-Loyalen wie Christa Wolf oder Volker Braun sind das mehr als hundert Autorinnen und Autoren, die zwischen 1945 und 1989 in Ostdeutschland ins Aus gesetzt, verfolgt und verfemt wurden. Dass sie verschwanden, ehe sie überhaupt wirklich da waren, gehörte zum Kalkül. Wie schwer es noch heute fällt, dieses durchcodierte Sperrland ausdifferenziert zu durchforsten. Die einen durften gar manches, für die anderen galten Haftbefehl und Druckverbot bis zum letzten Tag.

Musik, Malerei, Theater, Plastik, Grafik – jedes Kunstmedium stand zu DDR-Zeiten unter enormem Druck, keines aber wurde so extrem behandelt wie die Literatur. Bis 1968 galt für den Geheimdienst das Prinzip der offenen Vernichtung, danach ging es indirekter, andere würden sagen: moderater zu. Die literarischen Szenen wurden observiert, unterwandert und mittels Isolation und Zersetzung mundtot gemacht. Zensur blieb der Kern bis zuletzt, die eigentliche Struktur. Viele Schreibbiographien sind dabei irreparabel zerstört worden. Die dritte Literatur des Ostens bleibt für immer Fragment, ein Splitter, dessen Wirkung bisher nicht zu Ende gedacht ist. Kommt er, der Klondike dieser verfemten Textlandschaft? Im Westen hat er mit Blick auf die Exilliteratur in den Siebzigern stattgefunden. Auch dafür brauchte es Zeit. Es kann keinen Grund geben, warum er für die zweite Diktatur der Deutschen ausbleiben soll. Es liegt alles parat, und es gibt viel zu entdecken.

Ines Geipel ist Schriftstellerin und hat zusammen mit Joachim Walther das „Archiv der unterdrückten Literatur in der DDR“ aufgebaut. Zuletzt erschien ihr Buch „Umkämpfte Zone – Mein Bruder, der Osten und der Hass“ (Klett-Cotta).

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