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Israelkritisches Gedicht : Israel erklärt Grass zur „unerwünschten Person“

Darf nicht mehr nach Israel einreisen: Günter Grass

Darf nicht mehr nach Israel einreisen: Günter Grass Bild: dpa

Als Reaktion auf sein umstrittenes Gedicht lässt Israel Günter Grass nicht mehr einreisen. Für den früheren israelischen Botschafter in Deutschland, Avi Primor, ist das eine populistische Maßnahme.

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          Israels Einreiseverbot gegen Literaturnobelpreisträger Günter Grass stößt weiter auf Kritik. Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, nannte die Maßnahme übertrieben und populistisch. Innenminister Eli Jischai von der strengreligiösen Schas-Partei hatte Grass am Sonntag wegen dessen israelkritischen Gedichts zur unerwünschten Person erklärt.

          Hans-Christian Rößler
          Politischer Korrespondent für die Iberische Halbinsel und den Maghreb mit Sitz in Madrid.

          „Ich glaube, dass der Innenminister gar nichts von Deutschland versteht. Er betreibt Innenpolitik. Ich halte das für falsch“, erklärte Primor am Sonntagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Für ihn sei Grass kein Antisemit. „Ich weiß, wovon ich spreche.“ Zugleich kritisierte der Diplomat aber auch Grass’ umstrittenes Gedicht. Die darin geäußerte Behauptung, Israel wolle den Iran auslöschen, sei lächerlich.

          Innenminister Jischai erklärte, Grass fache mit seinem Gedicht „die Flammen des Hasses gegen Israel und seine Bevölkerung an und verbreitet Ideen, die er früher unterstützt hatte, indem er selbst eine SS-Uniform trug“. Grass solle seine „verdrehten und lügnerischen Werke“ besser in Iran veröffentlichen, wo er mehr Anhänger finden dürfte. Jischai griff auf ein Gesetz zurück, das es ermöglicht, ehemaligen Nazis die Einreise nach Israel zu verbieten. Grass hatte zugegeben, der Waffen-SS angehört zu haben.

          Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hielt Grass vor, ihm gehe es – wie anderen Intellektuellen – in Wahrheit aus egoistischen Interessen darum, mehr Bücher zu verkaufen. „Dafür sind sie bereit, Israel ein zweites Mal auf dem Altar verrückter Antisemiten zu Opfern“, sagte Lieberman während einer Pressekonferenz mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti am Sonntag in Jerusalem.

          Am Donnerstag hatte schon der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit scharfen Worten kritisiert. Aus Iran kamen dagegen am Wochenende zustimmende Reaktionen. Der stellvertretende Kulturminister Dschawad Schamakdari sagte laut Agenturberichten, Grass habe „wunderschön die Wahrheit gesagt“.

          Kritik am Einreiseverbot

          Auch deutsche Politiker haben das Einreiseverbot kritisiert. „Die Reaktion der israelischen Regierung ist unangemessen und wird dem Thema nicht gerecht“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich in der ARD. Nötig sei eine sachliche Auseinandersetzung mit den Thesen von Grass.

          Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, hält das israelische Einreiseverbot für Grass für überzogen und falsch: „Das ist unsouverän und demokratisch nicht klug. Ich hoffe, dass man das noch einmal überdenkt“.

          Zugleich ging in Deutschland die Kritik an dem 84 Jahren alten Schriftsteller weiter. In einem Beitrag für die „Bild am Sonntag“ schrieb Außenminister Westerwelle: „Israel und Iran auf eine gleiche moralische Stufe zu stellen, ist nicht geistreich, sondern absurd.“ Und er fuhr fort: „Iran verweigert völkerrechtswidrig seit Jahren umfassende Zusammenarbeit bei der Kontrolle seines Nuklearprogramms.“ Iran habe das Recht auf eine zivile Nutzung der Atomenergie. Es habe aber nicht das Recht auf atomare Bewaffnung. „Wer die davon ausgehende Bedrohung verharmlost, verweigert sich der Realität.“

          Auch Schriftstellerkollegen kritisierten Grass: Rolf Hochhuth schrieb von Scham, Daniel Jonah Goldhagen warf Grass vor, er bediene Klischees und Vorurteile. Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, es sei „ein ekelhaftes Gedicht“, politisch und literarisch wertlos. „Iran will Israel auslöschen, das kündigt der Präsident immer wieder an, und Günter Grass dichtet das Gegenteil“, sagte Reich-Ranicki, der als polnischer Jude nur knapp der Deportation in die deutschen Vernichtungslager entging.

          Der Schriftsteller Wolf Biermann verteidigte Grass „im Namen der Meinungsfreiheit“, sein Israel-Gedicht aber bezeichnete er als „literarische Todsünde“. In der „Welt am Sonntag“ schrieb der Liedermacher, „wenn dem Künstler keine originellen Ideen mehr kommen, versucht mancher sich an einem künstlichen Tabubruch wie Grass“.

          Von den traditionellen Ostermärschen in Deutschland erhielt Grass Unterstützung: Es gebe kein Recht auf Präventivkriege und Erstschläge, betonte die bundesweite Informationsstelle Ostermarsch in Frankfurt am Main.

          Die Friedensbewegung teile die Auffassung, dass die Nahost-Region umfassend demilitarisiert werden müsse. „Was Grass angestoßen hat, kann nicht als antisemitisch unter den Teppich gekehrt werden“, betonte der Sprecher der Informationsstelle Ostermarsch, Willi van Ooyen.

          Grass war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Auch das Auswärtige Amt in Berlin äußerte sich zunächst nicht.

          Einreiseverbot nach Israel

          Israel hat immer wieder Deutschen die Einreise in die palästinensischen Autonomiegebiete verwehrt, deren Außengrenzen die Armee kontrolliert. So durfte im Juni 2010 Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) nicht über den israelischen Übergang in Erez in den Gazastreifen fahren. Wenn man Niebel nach Gaza lasse, müsse man das auch jedem anderen europäischen Minister gestatten. Das würde jedoch die Legitimität der Hamas-Regierung stärken, hieß es damals in Jerusalem. Im folgenden Jahr erhielt Niebel jedoch eine offizielle Genehmigung. Vor ihm durfte schon Außenminister Westerwelle (FDP) nach Gaza.

          Im Juni 2011 hatte Israel zuletzt am Tel Aviver Flughafen 15 pro-palästinensische Aktivisten aus Deutschland abgeschoben, die an einer Solidaritätswoche im Westjordanland teilnehmen wollten. Die Behörden hatten sie und weitere mehr als hundert Europäer als eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ eingestuft. Mehr als 200 Aktivisten wurden schon in Europa daran gehindert, Flugzeuge nach Israel zu besteigen. Für nächstes Wochenende ist eine ähnliche Aktion geplant.(hcr.)

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