Politisches Hexeneinmaleins
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Kritische Solidarität zu Israel aus der Erfahrung der Katastrophe: der Schriftsteller Jean Améry Bild: epd
Der nächste Fehltritt in der Antisemitismus-Debatte: Am Einstein-Forum wird Jean Améry, der hellsichtigen Kritiker des Antizionismus, zum Kronzeugen der Israel-Dämonie gemacht.
Der Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Jean Améry war einer der Ersten, die nach dem Weltkrieg das neue Gesicht des Antisemitismus erkannten. Der offene Judenhass war durch den Holocaust diskreditiert, das Ressentiment musste sich ein neues Ventil suchen, und spätestens nach dem von Ägypten provozierten Sechstagekrieg war es gefunden: Endlich konnte man wieder befreit über Juden herziehen, diesmal über den Umweg des Besatzerstaats Israels, der an den Palästinensern das wiederhole, was die Nationalsozialisten den Juden angetan hätten (was nicht stimmt).
Neu daran war, dass die Legende nicht von den Stammtischen, sondern von einer Linken verbreitet wurde, die sich moralisch geläutert fühlen durfte, wenn sie Israel alle Schuld für die Folgen des Holocausts zuschob. Der „ehrbare Antisemitismus“ war geboren, so der Titel eines Essays, den Améry 1969 in der „Zeit“ publizierte. Der ehrbare Antisemit, schrieb Améry dort, nennt seinen Namen nicht. Er ist nicht Antisemit, sondern Antizionist. Er sieht nicht die tragische Schwäche der Juden, die von Terroristen bedroht werden und von Staaten umzingelt sind, die sie vernichten wollen. Und sieht nicht oder will nicht sehen, welch existenzielle Bedeutung der Staat Israel für die Juden in aller Welt hat.
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