Deutsch-israelische Beziehung : Ohne Vergangenheit keine Zukunft
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Die Vergangenheit im Hinterkopf. Den Blick in die Zukunft der beiden Länder gerichtet: Die deutsche Kanzlerin und der israelische Ministerpräsident. Bild: dpa
Seit fünfzig Jahren pflegen sie diplomatische Beziehungen, heute sind Israel und Deutschland Partner. Wie das nach dem Holocaust möglich wurde, beschreibt Dan Diner in seinem Buch über Israels deutsche Frage.
In diesem Jahr jährt sich zum fünfzigsten Mal die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Es gibt Grund genug, auf die Entwicklung unserer Beziehungen zu Israel stolz zu sein. In der Politik sind wir Partner, die gleiche Werte teilen und verteidigen; in Wirtschaft und Wissenschaft arbeiten wir aufs engste zusammen; in Kultur und Bildung lernen wir voneinander und bereichern uns gegenseitig; unsere Gesellschaften stehen in einem regen Austausch.
Eine Selbstverständlichkeit? Keineswegs. Nicht einmal eine Normalität. Um genau zu verstehen, was in den vergangenen fünfzig Jahren zwischen Israel und Deutschland passiert ist, um zu würdigen, was erreicht wurde, muss man in die Zeit vor die Anfänge der diplomatischen Beziehungen zurückgehen. In die Zeit, als die Wunde zwischen dem Volk der Täter und dem Volk der Opfer so tief klaffte, dass niemand glaubte, sie werde sich jemals schließen.
Dan Diner hat ein Buch geschrieben, in dem er genau dies tut (Dan Diner: „Rituelle Distanz“. Israels deutsche Frage, München 2015). Er führt uns in das Jahr 1952, gerade einmal sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Unendlich schien die Distanz zwischen dem jungen Israel, in dem viele Überlebende des Holocaust eine neue Heimat gefunden hatten, und dem moralisch zerstörten Deutschland, das sich nur mit allergrößter Mühe dem Thema Schuld und Verantwortung näherte. 1952 nahm die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches Verhandlungen über Wiedergutmachungsleistungen für die Verbrechen an den europäischen Juden auf.
Frostige Atmosphäre bei der Unterzeichnungszeremonie
Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches im holländischen Wassenaar saß eine Delegation aus Vertretern des Staates Israel und der Jewish Claims Conference. Mehrere Monate dauerten die Verhandlungen, bis sie schließlich im September 1952 in die Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens mündeten - ein Meilenstein auf dem langen Weg Deutschlands zur Übernahme der vollen Verantwortung für die Nazi-Verbrechen. Es war ein unglaublich schwieriger Start für unser Verhältnis zu Israel. Dan Diner schildert eindrucksvoll die frostige Atmosphäre bei der Unterzeichnungszeremonie, bei der auf jegliche Reden und jeglichen Händedruck verzichtet wurde. Und auch das überlieferte Foto, das Konrad Adenauer und den israelischen Außenminister Moshe Sharett im Kreise ihrer Delegationen mit steinernen Mienen zeigt, spricht Bände über die Last des Unaussprechlichen zwischen ihnen.
Der Aufnahme von Verhandlungen mit den Deutschen war in der Knesset in Jerusalem eine dreitägige Debatte vorausgegangen, in der ein gewaltiges moralisches Dilemma zum Ausdruck kam. Diesem Dilemma gilt Diners Hauptinteresse. Mit Akribie und verblüffender Prägnanz arbeitet er die kulturelle Tiefendimension jener Debatte heraus: Ein schier unlösbarer Konflikt zwischen Staatsräson - Israel brauchte jede materielle Hilfe, um wenige Jahre nach der Staatsgründung sein Überleben zu sichern - und tief empfundener sittlicher Abscheu dagegen, mit dem Land der Mörder über Sühnezahlungen für sechs Millionen ermordete Juden in Verhandlungen treten zu müssen.