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Corona-Tagebücher : Die Stunde der Maulhelden

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„Lebenskunstphilosoph“ Wilhelm Schmid behauptet, in Zeiten der Pandemie sei es die Aufgabe von Philosophen Besinnung zu pflegen. Bild: dpa

Seit ein paar Wochen haben wir ein neues intellektuelles Genre: das philosophische Corona-Tagebuch. Es dokumentiert einen Tiefpunkt.

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          6.910.000 Treffer erhält man, wenn man bei Google das Suchwort „Corona Tagebuch“ eingibt. Allein dieser Schnelltest rechtfertigt es, hier von einem neuen Genre zu reden. Als Erfinder der Gattung darf das Robert-Koch-Institut (RKI) genannt werden. Bereits am 17. Februar 2020 erschien ein Fragebogen für Corona-Kontaktpersonen. Ein Musterbeispiel sollte künftigen Diaristen vormachen, wie sich das RKI so ein „Tagebuch“ inhaltlich wünschte: „Ein Krankenpfleger hatte am 3. Februar den 2019- COVID-19-Fall gewaschen und abgesaugt, und dabei eine OP-Maske, einen Schutzkittel und Handschuhe getragen. An dem Tag hatte der Pfleger Husten. Bei Art des Kontaktes (s. ,Kodierungstabelle‘) sind einzutragen: ,P,Aer‘ (P für pflegerische Handlung, Aer für Aerosol-prod. Maßnahme); bei Art des Schutzes: ,M1,K,H‘ (M1 für OP-Maske, K für Kittel, H für Handschuhe).“

          Ach, wäre es doch bei diesem Nouveau Arztroman geblieben! Hätte das Genre hier nur seine frühe Meisterschaft erreicht! Und Nachahmern den Wind aus den Segeln genommen. Ein Blick in die parallel zum Virus exponentiell sich ausbreitenden Corona-Tagebücher zeigt: Das Gegenteil ist eingetreten. Die sogenannte Corona-Krise scheint ein hochinteressanter gesellschaftlicher Ausnahmezustand, der nach der Finanz- und der Flüchtlingskrise zum Exerzierfeld von Zeitdiagnostikern, Besinnungsliteraten und Trendforschern geworden ist. Diese folgen ihrer Berufung jetzt als Krisenbegleitpersonal.

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