Buchmesse Leipzig : Lesen in den Zeiten von Corona
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Stattfinden lassen oder nicht? Ein Bild von der Leipziger Buchmesse im vergangenen Jahr. Bild: dpa
Die Leipziger Buchmesse soll „planmäßig“ stattfinden. So heißt es für heute. Doch wird das auch noch am 12. März gelten, wenn die Bücherschau beginnen soll? Die Pariser Buchmesse wurde wegen Corona gerade abgesagt.
„Die Leipziger Buchmesse 2020 findet planmäßig statt.“ So verkündete es zumindest bis zum gestrigen Redaktionsschluss noch die Website der Messe. Allerdings steht der erste Besuchertag erst am Donnerstag der kommenden Woche an, und darüber, wie sich die Ausbreitung der Corona-Infektionen in Deutschland binnen dieser neun Tage darstellen wird, kann man bestenfalls spekulieren. Etwas weniger spekulativ betrachtet man die Frage offenbar in Frankreich. Die noch mal etwas später, nämlich erst am 20.März beginnende, ebenfalls viertägige Buchmesse von Paris ist gestern abgesagt worden. Als diese Nachricht schon offiziell war, stand auf der Homepage von Livre Paris immer noch zu lesen: „Nos événements se déroulent comme prévu“ (unsere Veranstaltungen finden wie vorgesehen statt).
Die Aussichten für die Durchführung der Leipziger Messe werden von den meisten Befragten, die nicht zum Organisationsteam zählen, bestenfalls noch auf fünfzig/fünfzig beziffert. Und die Organisatoren verweisen zur Beruhigung auch nur lapidar auf ihren Netzeintrag, der einige Vorsichtsmaßnahmen auflistet: ständiger Austausch mit den zuständigen Behörden, Bildung einer eigenen „Taskforce“, Ergänzung der Meldekette für sicherheitsrelevante Ereignisse um Covid-19-Verdachtsfälle, Verstärkung der Gebäudereinigung, Bereitstellung von Desinfektionsmitteln. Das wird das Virus zweifellos beeindrucken, wenn es denn lesen kann.
Andererseits: Was soll man anderes tun, solange in Deutschland keine behördliche Empfehlung zur Absage von Großveranstaltungen ergeht? Die Leipziger Buchmesse machte sich bei rein präventiver Absage ohne formell zwingenden Grund möglicherweise schadenersatzpflichtig gegenüber den Ausrichtern. Wobei ihr aber auch juristische Klagen blühen könnten, wenn die Messe tatsächlich planmäßig durchgeführt würde und sich dort dann Menschen anstecken sollten. Denn niemand könnte sich seitens der Veranstalter auf mangelnde Kenntnis der Risiken herausreden. Zumal wenn es schon einer kleineren Buchmesse wie der Livre Paris, die nur etwas mehr als die Hälfte der Leipziger Besucherzahl erreicht, zu gefährlich geworden ist. Gut, in Sachsen gibt es bislang noch keinen offiziell bekannten Corona-Patienten. Dass das Bundesland weiterhin von Erkrankungen verschont bleiben wird, ist indes unwahrscheinlich. Und wäre dem so – müsste man dann nicht umso dringlicher die Messe absagen, um dem Risiko vorzubeugen, das die aus der ganzen Bundesrepublik und dem Ausland anreisenden Besucher den Erreger mitbringen?
Fraglos wird bei regulärer Durchführung der Buchmesse die Besucherzahl einbrechen; auf den einschlägigen Foren der deutschen Manga-Fans, die als Gäste der MCC, des Comic-Zweigs der Messe, allein mehr als ein Drittel des Leipziger Publikums stellen, kann man schon lesen, wie viele diesmal aus Vorsicht daheim bleiben wollen. Halbleere Hallen mögen als größerer Imageschaden erscheinen als eine von übergeordneter Stelle erzwungene Absage. Aber die ist im föderalen deutschen Staat gar nicht so leicht zu haben.
Im Literaturbetrieb häufen sich derzeit jedenfalls noch die Durchhalteparolen der Ausrichter, die im Tenor jedoch eher ans mittelalterliche Gesundbeten erinnern als an sachlich fundierte Begründungen für die Beibehaltung der jeweiligen Programme. Die parallel zur Buchmesse angesetzte Lit.Cologne, das mit rund hunderttausend Besuchern größte deutsche Literaturfestival, versicherte sogar schon zwei Tage vor den Leipziger Veranstaltern, dass man die eigenen Veranstaltungen durchführen werde – obwohl derzeit kein anderes Bundesland vom Corona-Virus so betroffen ist wie Nordrhein-Westfalen. Da ein Großteil der Eintrittskarten für die Lit.Cologne traditionell schon im Dezember ausverkauft ist, dürfte hier die Sorge vor Kompensationsforderungen der Besucher größer sein als die vor leeren Rängen. Aber wer denkt an die Gesundheit?
Mit was für Einbußen beim Besuch von Bühnenereignissen angesichts der Angst vor Ansteckung gerechnet werden muss, zeigt das Beispiel von Eventim. Der größte deutsche Eintrittskartenverkaufsservice verzeichnete in den letzten Tagen einen so drastischen Rückgang der Nachfrage, dass der Börsenwert des Unternehmens um ein Fünftel sank. Der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft warnt bereits vor einer Insolvenzwelle bei seinen dreitausend Mitgliedern. Der kulturelle Kahlschlag durch die Krankheitswelle würde sich dann weit über deren eigentliche Dauer hinaus erstrecken.