https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/boris-palmers-eklat-auf-der-frankfurter-migrationskonferenz-18859452.html

Boris Palmer : Eklat mit Ansage

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer am Freitag auf der Konferenz „Die Migration steuern, Pluralität gestalten“ in Frankfurt Bild: Bernd Kammerer

Die Aussagen des Tübinger Oberbürgermeisters bringen die Frankfurter Migrationskonferenz an den Rand des Kontrollverlusts. Sie stehen aber nicht für die Konferenz als Ganzes.

          4 Min.

          Es komme auf den Kontext an, das war Boris Palmer wichtig. Schauen wir uns also die Szene noch einmal an, die für den Skandal sorgte. Palmer kam mit leichter Verspätung. Die Demonstranten auf dem Campus der Frankfurter Goethe-Universität hatten sich da schon warm gesungen. Sie empfingen ihn mit dem Sprechchor „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“. Gewiss, man muss sich das nicht bieten lassen. Palmer schloss sich den Rufen an, die nun ins Stocken gerieten. Er sei auch gegen Nazis, sagte er der verwunderten Menge. Dann erzählte er die Geschichte seiner jüdischen Vorfahren, die von den Nazis verfolgt wurden, und hob sein Recht hervor, über die NS-Verbrechen zu sprechen.

          Thomas Thiel
          Redakteur im Feuilleton.

          Nun warf man ihm Rassismus vor. Das zielte wohl auf seinen satirisch gemeinten, aber nicht von jedem so verstandenen Facebook-Post über den Fußballspieler Dennis Aogo. Palmer verteidigte sein Recht, das N-Wort zu verwenden, und sprach es aus. Ein Protestschrei ging durch die Menge. Ein dunkelhäutiger Demonstrant stellte sich vor ihn und hielt ihm das Mikrofon vor die Nase: Ob er es auch vor ihm sagen würde? Palmer zögerte keine Sekunde.

          Seine weiteren Erklärungen gingen im Geschrei unter. Bevor er ging, verglich er das Vorgehen der Demonstranten, jemanden, der das N-Wort ausspricht, allein deswegen als Nazi zu titulieren, mit dem Judenstern. Sicher, man wollte ihn provozieren. Aber der Vergleich war maßlos.

          Später führte er aus, wie er es gemeint hatte. So besteht er darauf, das N-Wort nicht „zu“, sondern „vor“ dem Demonstranten gesagt zu haben, wie er gegenüber der F.A.Z. sagte. Die vorliegenden Videoaufzeichnungen geben darüber keinen eindeutigen Aufschluss. Auf der Konferenz schob er die Erläuterung nach, man dürfe das N-Wort, das er wiederum mehrfach aussprach, in bestimmten erklärenden Kontexten verwenden, etwa wenn man über seinen literarischen Gebrauch bei Astrid Lindgren spreche. Es gehöre aber nicht zu seinem aktiven Sprachgebrauch, und er würde es nie direkt zur Ansprache verwenden, schrieb er später auf Facebook.

          Palmer blieb stur

          Einen kurzen Moment stand die Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten“ am Rand des Kontrollverlusts. Es kam zu einer Aussprache mit den Demonstranten, die aber nicht mehr als ein weiterer Schlagabtausch war. Dann gab man Palmer die Gelegenheit, seinen Vortrag zur Migrationspolitik zu halten, für den er eigentlich gekommen war.

          Am nächsten Tag folgte die Schadensabwicklung. Der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, forderte Palmer auf, sich für die Holocaust-Verharmlosung und den Gebrauch des N-Worts zu entschuldigen. Susanne Schröter, die Organisatorin der Konferenz, distanzierte sich auf Schärfste von seinen Aussagen und bedauerte, dass die gute und differenzierte Tagung durch sie beschädigt worden sei. In der Tat wäre es falsch, beides in einen Topf zu werfen, zumal sich mehrere Redner wie Ruud Koopmans und Ahmad Mansour noch auf der Konferenz von Palmers Wortwahl distanzierten und ihn zur Mäßigung aufriefen. Palmer blieb stur. Er wolle sich der Sprachzensur nicht beugen.

          Großangelegte Mobbing-Kampagne

          Die Konferenz des Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) hatte schon vor Beginn für Wirbel gesorgt. Der SPD-Landespolitiker Jan Pasternack hatte die Einseitigkeit der Redner kritisiert, denen er pauschal rechte Positionen unterstellte, und die hessische Wissenschaftsministerin aufgefordert, dem Zentrum die Fördermittel zu streichen. Auf Nachfrage der F.A.Z. ruderte er zwar deutlich zurück, auch sein Landesverband ging auf Distanz zu seiner Forderung. Gegenüber der Lokalpresse gab er später sogar an, die Konferenzen des Zentrums stets geschätzt zu haben. Aber der Ton war gesetzt, und er verschwand nicht mehr.

          Das ist umso misslicher, als die Vorwürfe weitgehend substanzlos waren. Zwar stimmt es, dass der von Pasternack angefeindete Soziologe Ruud Koopmans behauptet, Muslime würden sich schlechter auf dem Arbeitsmarkt integrieren, dies geht jedoch eindeutig aus den von ihm herangezogenen Statistiken hervor. Auch waren Redner mit alternativen Positionen zur Migrationspolitik eingeladen worden. Eine Nachfrage hätte das leicht klären können. Es blieb die Kritik an der Einladung des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer und dessen verunglückten Aussagen zu Migranten. Sicher war seine Einladung ein Risiko.

          Es war ein Eklat mit Ansage. Von der ersten Sekunde an war die Konferenz von Protestchören begleitet. Sprechchöre skandierten „Schröter raus“ und „Nazis raus“, was im Konferenzraum gut hörbar war. Teilnehmer und Besucher der Konferenz wurden durch die Bank als Rassisten bezeichnet, was dann wohl auch für den teilnehmenden hessischen Justizminister galt. An dem Angebot, auf der Konferenz mitzudiskutieren, zeigten sich die Demonstranten nicht interessiert. Wiederum waren die Vorwürfe schwach begründet.

          Ein Wortführer der Demonstranten hielt Susanne Schröter auf F.A.Z.-Nachfrage vor, ein Buch mit dem Titel „Gott näher als der eigenen Halsschlagader“ verfasst zu haben. Dies ist jedoch lediglich ein Koran-Zitat. Was daran rassistisch sein sollte, konnte er nicht erklären. Von dem Forschungszentrum Normative Ordnungen, mit dem das FGGI das Gebäude teilt, hing kurz ein Plakat herab, das Schröters Entlassung forderte, bevor man es eiligst entfernte. Das Zentrum wird zu klären haben, wer es dort aufgehängt hatte. Es war eine großangelegte Mobbing-Kampagne. Der Frankfurter Asta legte es den Veranstaltern als Rechtspopulismus aus, dass im Konferenztitel von Steuerung der Migration gesprochen wurde. Den Teilnehmern wurde so von vornherein das Recht abgesprochen, sich kritisch mit ihrem Gegenstand zu befassen.

          Pragmatischer Blick auf die Migrationspolitik

          Darum aber sollte es gehen. Susanne Schröter hatte die Konferenz explizit mit dem Ziel organisiert, einen pragmatischen Blick auf die Migrationspolitik zu werfen. Viele Berufspraktiker kamen zu Wort, ganz im Sinn der „Dritten Mission“ der Universität, eine Brücke zur Bürgergesellschaft zu schlagen. Keiner der Redner sprach sich prinzipiell gegen Migration aus, einig war man sich aber darin, dass auch Defizite der Migration angesprochen werden müssten, gerade angesichts der Tatsache, dass viele Institutionen an der Belastungsgrenze seien.

          Hans-Peter Meidinger, der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, rief dazu auf, die Schulen stärker zu durchmischen, um den migrationsbedingten Leistungsabfall zu stoppen, den eine Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen festgestellt hat. Der Soziologe Ruud Koopmans machte den Vorschlag, die hohe Todesquote der Migration durch Asylverfahren in Drittstaaten und Fluchtregionen zu senken. Der Vorstandsvorsitzende der Hertie-Stiftung, Frank-Jürgen Weise, forderte die frühere Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt. Es handelte sich um konstruktive Beiträge, die vom Publikum engagiert diskutiert wurden. Der Redebedarf war spürbar. Mehrfach wurde das Problem angesprochen, dass Bund und Länder die Lasten der Migration in unzumutbarem Maß auf die Kommunen abschieben. Dies war wohl auch der Grund für die Einladung von Boris Palmer gewesen.

          Das Forschungszentrum Globaler Islam trifft der Vorfall in einem ungünstigen Moment. In den nächsten Monaten wird über seine Zukunft an der Goethe-Universität entschieden. Bis dahin bleibt Zeit, den Vorfall in den Kontext der Institutsgeschichte einzuordnen.

          Jetzt mit F+ lesen

          Ein Vorzeige-Psychopath? Anthony Hopkins in „Das Schweigen der Lämmer“.

          Persönlichkeitsstörungen : So erkennt man Psychopathen

          Ein Professor erklärt, wieso viele Psychopathen sehr erfolgreich sind, woran man sie erkennt, auch wenn sie sich gut tarnen – und warum sie schlimmer sind als Narzissten.
          Was meint das echte, was das lyrische Ich?

          Lindemanns lyrisches Ich : Mund offen, Augen zu

          Hier spreche nicht der Dichter, sondern sein lyrisches Ich, hieß es 2020 über das Gedicht „Wenn du schläfst“ von Till Lindemann. Die Literaturtheorie wird ebenso missverstanden wie die Kunstfreiheit.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.