Big Data in der Medizin : Die gläserne Zukunft
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Was geschieht mit den Daten, die von Gesundheitsapps gesammelt werden? Bild: dpa
Die Gesundheitsdaten von Patienten sollen bald zur Forschungszwecken genutzt werden — ohne deren Einwilligung. Wem gehört der Datenschatz und was stellt man mit ihm an?
Daten sind das neue Rohöl, so sagt man, und der Befund der letzten Darmspiegelung ist gewissermaßen wertvoller als die Kreditkarte. Digitale Gesundheitsakten, die Daten wie das Lebensalter oder diagnostizierte Krankheiten enthalten, werden von Hackern auf dem Schwarzmarkt teurer gehandelt als Kreditkartennummern, berichtete die amerikanische Bundespolizei FBI schon vor fünf Jahren. Und anders als Rohöl, das, einmal verheizt, jeglichen Wert einbüßt, verschwinden Gesundheitsdaten nicht. Sie sind langlebig, können für immer neue Forschungsfragen ausgewertet werden, wieder und immer wieder.
Auch um diesen Datenschatz effektiver zu nutzen, hat der Bundestag vor etwa drei Wochen Jens Spahns Digitales Versorgungsgesetz verabschiedet. Es soll nun eine zentrale Datenbank geschaffen werden, welche die Sozialdaten von Millionen Versicherten ohne deren spezifisches Einverständnis speichert und für Forschungszwecke zur Verfügung stellt – dazu gehören neben Alter und Geschlecht auch abgerechnete Erkrankungen. Datenschützer schlagen Alarm. Doch was stellt die Forschung damit an? Und sind die Daten sicher?
Wenn Digitalisierung und Medizin verschmelzen, drängen sich viele Fragen auf. Darüber diskutierte auf dem Kongress „Wissenswerte“ in Bremen jüngst eine Gruppe von Experten, die mit ihren Visionen dieser Symbiose aus Medizin und Informationstechnik so heterogen erscheinen wie die gestapelten Bremer Stadtmusikanten. Auf dem Podium sitzen unter anderen Vertreter eines großen Pharma-Unternehmens, des Deutschen Ethikrats und einer Biotechnologie-Firma. Sie sollten sich häufiger streiten, denn die Zeit drängt.
Ein unbezahlbares Gesundheitssystem
„Die jetzigen Modelle der medizinischen Versorgung führen unser Gesundheitssystem in eine nicht bezahlbare Zukunft und die Pharmafirmen in ein Innovationsdilemma – wenn nichts passieren würde“, sagte Friedrich von Bohlen und Halbach. Der Nachkomme der einflussreichen Unternehmerfamilie Krupp ist promovierter Biochemiker und leitet das Unternehmen Molecular Health, das Gesundheitsdaten verarbeitet.
Schon als das staatliche Genomprojekt im Juni 2000 die Entschlüsselung des menschlichen Genoms verkündete, empfahl er in dieser Zeitung eine „New Science“ – in einer neuen Ära würde die in seinen Augen willkürliche Grenze zwischen Wissenschaft und Industrie obsolet werden. Die Gesundheitsdaten der Bürger könnten Geld in die Kassen des maroden deutschen Gesundheitssystems spülen, das in den nächsten Jahren fehlen könnte, sagte er in Bremen.
Derzeit dauert die Entwicklung und Zulassung eines neuen Medikaments länger als zehn Jahre und kostet, je nach Quelle, zwischen 150 Millionen Euro und 2,7 Milliarden Dollar. Mittels neuer Datenmassen könnten Medikamente schneller in der Praxis ankommen und ideale Patienten für klinische Studien gefunden werden. Die künftige Medizin wird hochpräzise sein, prophezeit von Bohlen und Halbach: statt grober Einteilungen in Krankheitsstadien könnte das molekularbiologische Profil eines Menschen personalisierte Behandlungen erlauben.
Christiane Fischer machen solchen Pläne Sorgen. Die Ärztin und Gründerin einer Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte wurde 2012 in den Deutschen Ethikrat berufen. „Digital Health und Datenschutz widersprechen sich nicht nur auf den ersten Blick“, sagte sie. Der Patient muss stets die Macht über seine Daten haben, und vor jeder Verwendung, zu welchem Zweck auch immer, um sein Einverständnis gebeten werden. An einer zentralen Stelle gespeichert werden sollten Patientendaten nicht, außerdem fordert sie ein Recht auf Vergessen im Internet. Kann das alles nicht gewährleistet werden, würde sie die Digitalisierung von Gesundheitsdaten ganz ablehnen.
Fischer und von Bohlen und Halbach wurden sich in Bremen nicht einig, und das sollen sie auch nicht. Denn die „Wissenswerte“ setzt Impulse, sie fordert keine Ergebnisse. In der Wissenschaft sind die Antworten selten klar und eindeutig. Bei der Debatte über Digitalisierung im Gesundheitswesen scheint es gar, als würden keine zwei überhaupt über dasselbe Thema sprechen. Doch zumindest Jens Spahn braucht klare Antworten. Bundesrat und Verbraucherschützer beklagen, dass sein Gesetz die Daten nicht ausreichend schützt und der Patient nicht widersprechen kann. Die theoretische Seite muss geklärt werden, bevor die praktische Umsetzung zur Diskussion steht – nämlich, wie personell klamme Krankenhäuser als Treuhänder von Millionen Gesundheitsdaten fungieren sollen, in denen Arztbriefe noch per Fax versandt werden.