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Panzer vor Botschaft : Wer nie um seine Feinde weint

  • -Aktualisiert am

Kriegstrophäe? Ein zerstörter russischer Schützenpanzer vor einer Kirche Bild: dpa

Zwei Berliner Aktivisten wollen einen erbeuteten russischen Panzer vor der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin aufstellen. Rechtlich dürfen sie es, aber ist das auch ehrenvoll?

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          Das erste Theaterstück der Menschheitsgeschichte ist gleich ein Zeugnis größtmöglicher Überwindung: Der Grieche Aischylos schrieb seine „Perser“ aus Sicht der Besiegten. Dass ein kleiner Trupp der demokratischen Griechen die übermächtige Armee der autokratisch geführten Perser schlug, nimmt der Dramatiker nicht zum Anlass für eine Siegergeschichte. Stattdessen führt er das Leid derjenigen vor Augen, die ihre Söhne auf dem Schlachtfeld verloren haben. Die Aufzählung der ge­fallenen Krieger sollte das heimische Publikum erschüttern und vor der Hybris eines Triumphgeheuls warnen.

          So wie einige Jahrhunderte später auch der römische Feldherr Scipio, als er das gegnerische Karthago niederbrennen sah, in Tränen ausgebrochen sein soll: „Er weinte um die Feinde“, berichtet Appian. In beiden antiken Szenen drückt sich die Errungenschaft eines humanitären Gedankens aus: bei aller Rachsucht nicht blind die Vernichtung erwidern, sondern das Grauen der eigenen Gewalt miterfahren. Es geht dieser antiken Denkfigur nicht um Pazifismus oder christliches Wangehinhalten, sondern um die Frage, wie man den Feind schlägt, ohne selbst alle Ehre zu verlieren.

          Symbolische Aktion

          Wenn nun zwei Berliner Aktivisten einen auf dem ukrainischen Schlachtfeld erbeuteten russischen Pan­zer in unmittelbarer Nähe der russischen Botschaft aufstellen wollen und – so das Verwaltungsgericht – auch dürfen, dann entspricht das nicht dem geschilderten Ko­dex. Die symbolische Aktion, die bisher nur angekündigt ist, will offenbar Gleiches mit Gleichem vergelten. Das Blut der überfallenen Ukrainer soll gesühnt werden mit einer Kriegstrophäe, an der das Blut russischer Sol­daten klebt. Oder nicht? Oder geht es nur darum, die Täter, die auch im Berliner Botschaftsgebäude sitzen, mit ihrem eigenen Militärschrott zu verhöhnen? Könnte es nicht ein Un­terschied sein, ob man einen zurückgelassenen oder einen zerschossenen Panzer ausstellt? „Nein, denn so oder so wurde aus dem Panzer heraus ge­mordet“, bekräftigt Wieland Giebel, einer der zwei Aktivisten, am Telefon. Wer ihn jetzt an das Schicksal der in den Krieg geschickten Russen erinnere, von dem fühle er sich „verarscht“.

          Vielleicht hat er recht. Vielleicht ist in Zeiten, in denen vor befreiten ukrainischen Städten Massengräber mit ge­folterten Zivilisten entdeckt werden, nicht der Moment, um an Aischylos oder „Scipios Tränen“ zu erinnern. Und doch – es ist ja die ganze Zeit immer von westlichen Werten die Re­de. Mit denen wir uns von Russland unterscheiden wollen. Aber wie sind wir denn anders? Wenn nicht dadurch, dass wir uns vorstellen, dass auch der russische Soldat eine Familie hat?

          Simon Strauß
          Redakteur im Feuilleton.

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