So futuristisch wie ein ISDN-Telefon
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Szene aus dem Film „The Congress“ von Ari Folmann Bild: Pandora Film
Jeder liebt das Zauberwort Digitalisierung. Hohle Reden beschwören eine mystische Kraft, vor deren Unausweichlichkeit längst kapituliert wurde. Dabei geht es um eine Praxis, über deren Sinn und Form man sich streiten sollte.
Im Nachhinein lässt sich schwer sagen, wie dieser Begriff, um es in der Sprache des Marketings zu sagen, viral ging; oder auch nur wann. Noch vor ein paar Monaten, während des ohnehin schläfrigen Wahlkampfs, spielten die Fragen der technologischen Herausforderungen für die Gesellschaft kaum eine Rolle; nur die FDP versuchte mit affirmativen Parolen zu punkten. Doch seit die neue Bundesregierung im Amt ist, steht das Thema ganz oben auf der politischen Agenda, zumindest als Floskel: Spätestens in den Koalitionsverhandlungen haben auch CDU, CSU und SPD das Zauberwort „Digitalisierung“ entdeckt und es derart lieb gewonnen, dass sie es gar nicht oft genug in den Koalitionsvertrag schreiben konnten: 13 Seiten des Vertrags beschäftigen sich explizit mit dem Thema „Digitalisierung“, 93 Mal wurde das Wort „Digitalisierung“ per Copy-and-paste im Dokument verteilt, 148 Mal das Adjektiv „digital“ – wie eine Konjunktion, die selbst die größten politischen Differenzen zusammenhalten kann.
Auf die Notwendigkeit der „Digitalisierung“ können sich derzeit offensichtlich fast alle Parteien einigen. Wer kann schon etwas dagegen haben, dass Funklöcher gestopft werden und Kitaanträge online eingereicht werden können. Alles soll digital werden: der europäische Binnenmarkt, die öffentliche Verwaltung, der Mittelstand, die Polizei, die Ausbildungsstrategie, die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, das Zahnbonusheft, sogar das „Planen und Bauen“. Sogar die „Vermittlung von digitalen Fähigkeiten als Schlüsselkompetenz für alle Altersgruppen“ sieht der Vertrag vor – womit hoffentlich dann doch die analoge Fähigkeit gemeint ist, die Funktionsweise der digitalen Technik zu verstehen. Am Ende kam sogar die neue Position einer „Staatsministerin für Digitales“ heraus, die zwar kein eigenes Ressort hat, aber die Aufgabe, die Nation aus der Drittklassigkeit in die „digitale Champions League“ zu führen.
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