Wo die Gerechtigkeit bedroht ist
- -Aktualisiert am
Aufklärungs-Installation auf dem Industriemuseumsgelände Ferropolis in Gräfenhanichen Bild: Picture-Alliance
Heute wird die Aufklärung verdreht dargestellt. Dabei brauchen wir ihre Werte dringender denn je, um über den eigenen Stamm hinauszudenken. Ein Gastbeitrag.
Diese Gelegenheit möchte ich nutzen, einiges über die Aufklärung zu sagen, das Fundament nicht nur meines Denkens, sondern des linkspolitischen Denkens überhaupt. Meine Beschäftigung mit der Aufklärung entstand nicht aus Lust, historische Forschungen zu betreiben, obwohl ich das auch getan habe. Als ich Kants Aufsatz „Was heisst es, sich im Denken orientieren?“ las, wurde mir klar: Die Aufklärung war aktueller als alles, was die Gegenwartsphilosophie zu bieten hat. Das betraf zunächst die Form. Die Aufklärer schrieben nicht für ihre Doktoranden – zumal die meisten keine hatten –, sondern für ein breites Publikum, in der Überzeugung, wie der große Aufklärer Jean Améry schrieb, „dass Kenntnis zur Erkenntnis führt und dieser zur Sittlichkeit“. Selbst Kant, der kein begnadeter Schriftsteller war, schrieb fünfzehn gut lesbare Aufsätze für die Berlinische Monatschrift. Orientierung im Denken wird heute noch dringender gebraucht.
Denn wenn dafür ausgebildete Philosophen diese Aufgabe scheuen, übernehmen es andere, mit verheerenden Folgen wie Angriffen auf die Aufklärung selbst, die aus einer Mischung von Karikaturen und Verzerrungen bestehen. Viele diese Verzerrungen versuchte ich, in meinem Buch „Moralische Klarheit“ auszuräumen. Doch auf eine Kritik an der Aufklärung bin ich in jenem Buch nicht eingegangen. Vor zehn Jahren war ich sicher, der Vorwurf sei so unbegründet, geradezu schwachsinnig, dass er schnell von selbst wieder verschwinden würde. Das spricht nicht für meine Fähigkeit, intellektuelle Trends vorherzusagen, denn dieser Vorwurf wird heute oft als Dogma akzeptiert. Er lautet: Der Universalismus der Aufklärung war eurozentrisch, ein Deckmantel für die Interessen weißer Männer, die die Welt beherrschen wollten und somit die Begründung für den Kolonialismus lieferten.
Zugang zu allen exklusiven F+Artikeln
2,95 € / Woche
- Alle wichtigen Hintergründe zu den aktuellen Entwicklungen
- Mehr als 1.000 F+Artikel mtl.
- Mit einem Klick online kündbar
Login für Digital-Abonnenten
Sie haben Zugriff mit Ihrem F+ oder F.A.Z. Digital-Abo