Auf dem Weg zur totalen Überwachung : Wir müssen jetzt handeln
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Die Zukunft des Internets, wie der amerikanische Telekommunikationsgigant Cisco sie sieht: Jeder Gegenstand bis zum Herzschrittmacher wird hier vernetzt sein und steht als Datenlieferant zur Verfügung. Es soll so viele IP-Adressen geben, dass jedem Atom auf der Erdoberfläche hundert davon zur Verfügung stehen. Bild: Grafikdatei: blogs.cisco.com; Überarbeitung F.A.Z.-Grafik Freidel/Heumann
„Prism“ ist nur der Auftakt: Das Sammeln großer Datenmengen erlaubt Algorithmen, jede Person zu klassifizieren, ihr Verhalten vorauszuberechnen und auf Basis spieltheoretischer Modelle schlimmstenfalls sogar zu steuern.
Wenn das Verteidigungsministerium an die Rüstungsindustrie einen Auftrag zur Fernmeldeaufklärung vergibt, so wie das bei der Aufklärungsdrohne Euro Hawk der Fall war, werden an die Mitarbeiter des Systems besonders strenge Maßstäbe bezüglich Integrität und Loyalität angelegt. Ein Aufklärungssystem wie die Euro Hawk ist ein großer Datenstaubsauger. Es erfasst sämtliche Daten, die uns im Elektrosmog umgeben und damit zwangsläufig auch die sehr persönlichen und vertraulichen Daten unserer modernen elektronischen Kommunikation. Deren Geheimhaltung nimmt die Bundesrepublik Deutschland tatsächlich sehr ernst, soweit ihre Bürger betroffen sind. Grundrechtsschutz hat eine Vorrangstellung und ist mehr als politisches Lippenbekenntnis.
Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten eine hohe Friedensdividende aufgebaut, und das ist gut so. Besonders Deutschland war angesichts seiner Geschichte stets bestrebt, der Verantwortung für ein friedvolles Miteinander gerecht zu werden. Als Folge wurden deutsche Ämter auch in Einrichtungen der Bundeswehr vorwiegend pazifistisch und damit ganz im Sinne einer Verteidigungsarmee besetzt. Der aggressive Bereich der Aufklärung wie mit der Euro Hawk, bei der die Drohne feindliche Truppen möglichst früh ausforscht, bevor ein Einsatz deutscher Soldaten erfolgt, ist in Deutschland mit Blick auf eben seine Geschichte stark unterrepräsentiert.
Das Atlantische Bündnis im Wirtschaftskrieg
Auch aus diesem Grund trifft uns der NSA-Abhörskandal bis ins Mark. Es verstört, dass ein Verbündeter gegenüber einem Partnerland ein so hochaggressives Aufklärungsverhalten zeigt. Dabei gehört die Ausforschung deutscher Aktivitäten durch die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten zum Alltag, ganz besonders im Rahmen von Industriespionage und Wirtschaftskrieg.
Brüssel, Ende der neunziger Jahre: Das Atlantische Bündnis will ein System zur vernetzten Luftverteidigung beschaffen. Ausschlaggebend für die Auftragserteilung sind die beiden Faktoren Abdeckung der Nutzeranforderungen und - der Preis. Am Ende des Bietverfahrens stehen sich zwei Bieterkonsortien gegenüber: eines mit Beteiligung eines deutschen Rüstungsunternehmens und ein amerikanisches Bieterkonsortium. Vor der Auftragsvergabe sind beide Konsortien zur Abschlusspräsentation eingeladen. Wer das beste Angebot zum besten Preis abgeben kann, erhält den Zuschlag. Die Information, wo der Mitbieter diesbezüglich steht, ist daher für den Gegenspieler und die kurzfristige Nachbesserung seines „best and final offer“ Millionen Dollar wert.
Der deutsche Anbieter präsentiert zuerst. Im Auditorium der Beschaffungsagentur sitzen sogenannte „Regierungsberater“. Später am Abend flaniert das deutsche Team an einem Restaurant vorbei. Ein Blick durchs Fenster schafft Gewissheit: Der amerikanische Mitbewerber sitzt mit zwei der sogenannten Regierungsberater beim gemeinsamen Abendessen.
Vergebliche Aufregung schon damals: Die Beteiligung eines amerikanischen Dienstes an der Ausschreibung für das Rüstungssystem gehörte zu den offensichtlichen Gegebenheiten des Beschaffungsprozesses, bei dem der amerikanische Mitbewerber über Details des deutschen Angebots gerade noch rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wurde, um den deutschen Anbieter möglichst zu unterbieten.