
Der Absagen-Laschet : Ich würde lieber nicht
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Armin Laschet als Bartleby? Bild: AFP
Armin Laschet sagt lauter Medien-Auftritte ab und erinnert darin an eine literarische Figur. An Bartleby aus Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung. Der sagt: „Ich möchte lieber nicht“.
Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der CDU, ist im Moment vor allem der Absagen-Laschet: Im Juni sagte er einen Auftritt für Youtube ab, wo ihn Rezo und Tilo Jung zu einem Kanzlerkandidaten-Triell mit Olaf Scholz und Annalena Baerbock eingeladen hatten. Im Juli sagte er eine bei ProSieben geplante Wahlkampfshow ab, in der sich die Kanzlerkandidaten den Fragen des Moderators und denen von Bürgerinnen und Bürgern stellen sollten. Baerbock und Scholz werden in zwei Sendungen am 1. und 15. September mitmachen. Laschet möchte lieber nicht. Auch der Spiegel wollte zusammen mit t-online und Vice ein Kanzlerduell ausrichten. Doch, so heißt es, musste man auf eine Reaktion von Laschet lange warten. Inzwischen hat er auch hier abgesagt. Diese Woche nun kam die Meldung, dass Armin Laschet alle Wahlkampftermine in Hessen und Baden-Württemberg ausfallen lässt, wo er von Donnerstag an auftreten wollte. Grund sei die Flutkatastrophe, die für ihn „höchste Priorität“ habe.
Man wird aber den Eindruck nicht los, dass er am liebsten den ganzen Wahlkampf absagen würde, um darauf zu warten, dass trotz der sehr schlechten, insbesondere persönlichen Umfragewerte die Wählerinnen und Wähler der CDU am Ende doch eine Mehrheit bescheren. Armin Laschet möchte, so scheint es, vielleicht sehr gern Kanzler werden, aber er möchte lieber doch nicht Wahlkampf machen (und für irgendwelche Inhalte werben oder erklären, warum er es werden will oder sollte).
Er erinnert an Bartleby, den Schreiber aus der gleichnamigen Erzählung, die der amerikanische Schriftsteller Herman Melville gleich nach „Moby Dick“ verfasste und die 1853 erstmals erschien. Denn Bartleby, der in einem Anwaltsbüro an der Wall Street arbeitet, kopiert dort zwar Verträge, verweigert sich aber jeder anderen Tätigkeit mit dem Satz: „I would prefer not to“, „Ich möchte vorziehen, es lieber nicht zu tun“ oder kurz: „Ich möchte lieber nicht.“ Bald macht er gar nichts mehr, wohnt aber im Büro, und der erstaunte Anwalt, der ihn nicht vor die Tür setzen mag, zieht selbst aus dem Büro aus.
Melvilles Bartleby ist von Philosophen und Kulturtheoretikern als Figur, die sich mit seiner berühmt gewordenen Formel der Verneinung und der Bejahung gleichermaßen entzieht, gefeiert worden. Als eine Figur der Uneindeutigkeit mit systemkritischer Sprengkraft: Für den Philosophen Gilles Deleuze steht der Wall-Street-Kanzleischreiber, der seinen Arbeitgeber in die Flucht schlägt und soziale Fundamente ins Wanken bringt, für eine vaterlose Gesellschaft; für den italienischen Philosophen Giorgio Agamben ist er der messianische Schöpfer des absoluten Nichts.
Armin Laschet aber will Politiker sein, sogar Kanzler werden. Für diesen ist alles Bartlebyhafte fatal. Als literarische Figur lassen sich an Bartleby große philosophische und soziale Fragen durchspielen. Für Kanzlerkandidaten ist er allerdings kein besonders empfehlenswertes Vorbild. Bartleby tritt im Zurückweichen hervor und „exponiert sich“ dadurch „ein wenig“ (Deleuze). Es ist „nicht ein Wille zum Nichts“, der ihn ausmacht, „sondern die Zunahme eines Nichts an Willen“ (Deleuze). Falls das auch für Armin Laschet zutrifft, ist es für die Politik keine gute Nachricht. Und übrigens auch nicht für Armin Laschet.