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Appell von 103 Journalisten : Hilferuf aus Afghanistan

Für Journalistinnen in Afghanistan - im Bild eine Radiomoderatorin aus Kundus - spitzt sich die Lage immer mehr zu. Bild: dpa

103 Journalistinnen und Journalisten aus Afghanistan richten an die internationale Gemeinschaft einen dramatischen Appell. Sie fordern, dass die Staaten die Taliban auf Menschenrechte verpflichten. Wird der Ruf in Deutschland gehört?

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          In Kabul gab es ein Frauenministerium. Das war, bevor die Taliban die Macht übernahmen. Jetzt haben die neuen Herrscher das Gebäude in der afghanischen Hauptstadt symbolträchtig umgewidmet. Fortan ist es der Sitz der Religionspolizei, die über die Einhaltung der Scharia wacht. Im Sprachgebrauch der Radikalislamisten ausgedrückt: „Ministerium für Gebet und Orientierung sowie zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung von Laster“. So setzen die Taliban Zeichen. Während sie auf der internationalen Bühne tun, als gestalte sich ihre Regentschaft weniger extrem als in den neunziger Jahren, schränken sie im Land Stück für Stück die Menschenrechte ein und verweisen insbesondere Frauen auf den Platz, der ihnen fromme – an den Herd.

          Aus dem öffentlichen Leben werden sie verbannt, Bildung wird ihnen verwehrt. Gehen sie auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren, treibt man sie mit Gewalt auseinander. Davon soll die Welt möglichst wenig erfahren. Deshalb stehen Journalisten auf der Abschussliste der Taliban ganz oben. Journalistinnen können ihren Beruf gar nicht mehr ausüben, von gewaltsamen Übergriffen berichtet die Organisation Reporter ohne Grenzen täglich. Noch sind nicht alle geflohen, noch gibt es Berichterstatter in Afghanistan. Doch wie lange noch?

          Diejenigen, die ausharren, richten an die internationale Gemeinschaft einen dramatischen Appell. Er ist verfasst von 103 Journalisten, darunter zwanzig Frauen: „Wir sind afghanische Journalistinnen und Journalisten verschiedener politischer Überzeugungen und Ethnien. Einige von uns sind noch arbeitsfähig. Andere verstecken sich in Kabul oder anderswo in Afghanistan. Andere sind bereits ins Ausland geflohen oder stehen kurz vor der Ausreise. Wir alle sind gezwungen, bei diesem Aufruf anonym zu bleiben. Wir wollen nicht, dass der Journalismus in Afghanistan wie von 1996 bis 2001 ausstirbt. Die Zeit drängt.“

          Man brauche Schutzgarantien. Es brauche „konkrete Zusagen von den neuen Führern Afghanistans“, auf diese solle die internationale Staatengemeinschaft pochen. Es gehe um Ressourcen und konkrete Hilfe für verfolgte Journalisten, die das Land verlassen wollen. Der von den Taliban eingesetzte Medienausschuss müsse „garantieren, dass er tatsächlich ein Mechanismus zur Verteidigung der Pressefreiheit und nicht zur Unterdrückung von Journalistinnen und Journalisten ist“.

          Ob die Botschaft bei der Bundesregierung, die sich bei der Evakuierung Schutzbedürftiger nach dem Fall Kabuls so überfordert zeigte, ankommt? Sie hat mit den Geretteten, die durch den Einsatz der Bundeswehr – dem die Linkspartei im Bundestag zynischerweise nicht zustimmte – außer Landes kamen, ihre Bringschuld nicht erfüllt. Für die nächste Bundesregierung muss der Kampf für Menschenrechte und gegen internationalen Terrorismus ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Den führt man nicht, indem man die Bundeswehr klein rüstet und den Bürgern weismacht, das Leben in Frieden und Freiheit fordere keinen Preis und es reiche, die Raute zu machen.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

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