Antisemitismus-Debatte : Wer hat Achille Mbembe gelyncht?
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Achille Mbembe Bild: Stephanie Fuessenich/laif
Der kamerunische Denker Achille Mbembe steht wegen seiner Haltungen und Äußerungen zu Israel in der Kritik. Seine Verteidiger sprechen von Hexenjagd und einem Klima des Verdachts. Eine Klarstellung.
Die Diskussion um Achille Mbembe ist außer Rand und Band geraten. Anlässlich der Einladung an den Historiker, die inzwischen abgesagte Ruhrtriennale mit einem Vortrag zu eröffnen, war es zu Zweifeln an seinen großflächigen Thesen zum Verhältnis von Kolonialismus, Israels Besatzungspolitik, Südafrikas einstiger Rassentrennung und dem Holocaust gekommen.
Geäußert hatten sie zunächst ein lesender FDP-Abgeordneter in Nordrhein-Westfalen, Lorenz Deutsch, sowie Felix Klein, der „Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen den Antisemitismus“. Relativiert Mbembe den Holocaust? Unterstützt er die vom Bundestag verurteilte Kampagne BDS, die weltweit Boykotte gegen Israel organisiert und in der sich auch Leute finden, die Israels Existenzrecht bestreiten?
Inzwischen haben 37 Wissenschaftler und Künstler die Entlassung Kleins gefordert, weil er Mbembe zu Unrecht als Antisemiten hingestellt habe. Klein sei überdies von der BDS-Kampagne „eindeutig besessen“. Den Rücktritt des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Klein beigesprungen war, forderten die Wissenschaftler nicht. Der Afrikanist Andreas Eckert erkannte „Anzeichen einer Hexenjagd“, obwohl er als Historiker schon wissen könnte, was eine Hexenjagd ist und wie wenig sich der Beauftragte im Innenministerium auch nur anzeichenhaft für die Rolle von Heinrich Institoris eignet. Mbembe hat das ausgeweitet, er spricht von einer Hexenjagd „gegen alle, die nicht so sind wie wir“.
Andernorts wurde behauptet, es werde versucht, Mbembe als antikoloniale Stimme „auszuschalten“. Das sagt nun auch Mbembe: Man habe keinen Neger auf dem Festival haben wollen. Und er nennt, was ihm geschah, einen Lynchmord („lynchage“). Dagegen wirkt die Sorge der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann geradezu rührend, die „Hermeneutik des Verdachts“, die sich in der Kritik an Mbembe zeige, sei für „Menschen in leitenden Stellungen happig“, denn sie müssten mit Entlassung und bleibender Stigmatisierung rechnen. Menschen in leitenden Stellungen. Die Intendantin der Ruhrtriennale, die womöglich gemeint war, beklagte, Mbembe werde „öffentlich in Stücke gerissen“, die Diffamierung sei „unvergleichlich“. Unvergleichlich im Verhältnis wozu? Drumont? McCarthy? Den Kampagnen von „Bild“ gegen Wallraff? Der Soziologin Eva Illouz wiederum gelang es, innerhalb eines Interviews festzustellen, Mbembe dämonisiere Israel, sei gleichgültig gegenüber der Geschichte der Juden, ignoriere bei seinen Vergleichen tatsächliche Völkermorde – aber Felix Klein habe ihn „denunziert“. Bei wem denn? Oder meinte sie nur, Klein habe genauso haltlos dahergeredet wie Mbembe, der nun mitteilt, er werde „bis zu seinem letzten Atemzug“ eine Entschuldigung von Felix Klein fordern?
Besessen, Hexenjagd, ausschalten, öffentlich in Stücke gerissen, gelyncht, unvergleichliche Diffamierung, denunziert, letzter Atemzug. Mbembe leitet seinen jüngsten Text mit der Bemerkung ein, es gehe ihm gut, er sei in Sicherheit, man habe sich aber zu Recht um ihn Sorgen gemacht. Seine Unterstützer wüssten, wie leicht es sei, „uns zum Schweigen zu bringen“. Man habe ihn gefragt, ob der FDP-Abgeordnete mit Neonazis in Verbindung stehe. Er wisse es nicht.*
Halten wir darum noch einmal fest: Es geht um Texte und die Frage, ob jemand zu einem Vortrag eingeladen werden sollte. Die Kritiker Mbembes beriefen sich auf Passagen in dessen Buch „Politik der Feindschaft“ und ein Vorwort zum Sammelband „Apartheid Israel“. In ihnen schreibt Mbembe dem jüdischen Staat Ausrottungsphantasien und die Absicht zu, das palästinensische Leben wie Müll entsorgen zu wollen.
Mbembe findet einerseits, das israelische Besatzungsregime sei schlimmer als die einstige südafrikanische Rassentrennung. Andererseits sei das südafrikanische Apartheidregime, wie die Vernichtung der europäischen Juden, nur in einer ganz anderen Größenordnung, die Manifestation eines kolonialen „Trennungswahns“.