Der erste Tag im Krieg
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Nach dem russischen Angriff: die U-Bahn ist jetzt Luftschutzkeller in Kiew Bild: dpa
Der Luftschutzkeller wird eingerichtet, die Leute sind ruhig und solidarisch, die Regale sind immer noch voll. Dann ertönt der Alarm. Augenzeugenbericht eines Historikers aus Kiew.
Wer wie ich mit Ohrstöpseln schläft, wird von seiner Frau aufgeweckt. Insbesondere, wenn man davor Schlafmittel genommen hat. Es ist fünf Uhr in Kiew, man hört Explosionen. Ein schneller Blick in die Nachrichten sagt, dass die Einzelheiten noch nicht klar sind, außer einer: Russland hat die Ukraine militärisch angegriffen. Erst einmal schnell den Rucksack mit allen nötigen Sachen packen, die man so in einem Luftschutzkeller braucht: Medikamente, Wasser, Essen, Taschenlampen und so weiter. Bis man damit fertig ist, vergehen aber fast zwei Stunden. Man ist die ganze Zeit durch Nachrichten abgelenkt, irgendwelche Sachen lassen sich schlecht finden. Aber das Internet funktioniert, genauso wie das Fernsehen. Es gibt Strom und warmes Wasser.
Unser fünfjähriger Sohn, Sascha, schläft noch, aber im Unterschied zu mir kann meine Frau Aljona nicht lange auf Essen verzichten in der Früh. Auf sie muss man besonders acht geben, weil sie in der vierzigsten Schwangerschaftswoche ist. Es wird ein Junge, und wir haben noch nicht entschieden, wie der neue Mensch heißen soll. Aljona und ich, wir sind eher für den Namen Orest, Sascha will aber, dass sein Bruder Max heißt. Ich mache Frühstück und achte darauf, dass es gut ist. Auf das pochierte Ei bin ich besonders stolz: eine ideale Form! Während Aljona frühstückt, bin ich mit anderen Sachen beschäftigt und scrolle alle drei Minuten die Nachrichten durch und poste außerdem eifrig auf Facebook. Von meinem Boxclub erhalte ich die Nachricht, dass es kein Training heute früh gibt. Klar doch, wer würde da heute schon hingehen? Die private Sprachschule, bei der ich als Deutschlehrer einen Nebenjob habe, sendet die Nachricht, dass meine Stunden heute entfallen. Hab ich auch nichts dagegen.
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