Polens Weg in die Demokratie : Die widersprüchlichen Lehren aus dem Jahr 1989
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Kontinuität als Problem: Lech Kaczyński, Mitbegründer der nationalkonservativen PiS und bis zu seinem Tod 2010 der Präsident Polens, zwanzig Jahre nach Beginn der Gespräche am Runden Tisch im Februar 2009 vor einem Solidarność-Plakat Bild: Picture-Alliance
Heute stehen sich in Polen zwei Fraktionen unversöhnlich gegenüber, die beide aus der Solidarność hervorgingen: Der Warschauer Verfassungsrechtler Andrzej Rzepliński erklärt, wie Polen den Weg in die Demokratie fand.
Auf dem Höhepunkt seiner Krise feierte das Verfassungstribunal der Republik Polen seinen 30. Geburtstag demonstrativ nicht in der Hauptstadt Warschau, sondern in Danzig, der Wiege der Gewerkschaft Solidarność. Der bis Dezember 2016 vorsitzende Richter, Andrzej Rzepliński, hat nun an der Universität Halle erklärt, warum das Gericht bereits im sozialistischen Polen entstanden war. Dabei nimmt Rzepliński die Ausrufung des Kriegszustandes im Dezember 1981 als Reaktion auf die Arbeiterproteste im ganzen Land als Ausgangspunkt. Der Vorsitzende der Polnischen Arbeiterpartei, Wojciech Jaruzelski, suchte nach einem juristischen Weg, um zwei ganz unterschiedliche Zeitgenossen vor Gericht zu bringen. „Mit einem neuen Tribunal wollte er seinen Vorgänger Edward Gierek für die verfehlte Wirtschaftspolitik zur Verantwortung ziehen, die Ende der 1970er Jahre zum Zusammenbruch der Wirtschaft geführt hatte“, erklärt Rzepliński. Zugleich sollte Lech Wałęsa vor einem Staatstribunal der Prozess gemacht werden.
Polnische Juristen erarbeiteten Anfang 1982 ein Gesetz zur Einführung eines Staatstribunals, das noch im März in Kraft trat. Doch fehlte diesem die Kompetenz, über Wałęsa zu urteilen, da er als Anführer der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność kein Staatsbediensteter war. Auch Paragraph 33 der erweiterten Verfassung sah die Schaffung eines Verfassungstribunals vor. Da Richter auf Parteilinie berufen wurden, habe dieses aber die ersten vier Jahre lang keinerlei Bedeutung gehabt. Mit Vergnügen zitiert Andrzej Rzepliński kritische Reaktionen aus der Akademie der Wissenschaften in Berlin: Die Juristen in der DDR fürchteten einen gefährlichen Präzedenzfall, der die von der SED ausgeübte Diktatur der Arbeiterklasse in Frage stellen könnte. Ebenso meldete die sowjetische Seite Kritik an der Neuerung an.
Im Laufe der 1980er Jahre sah sich die Polnische Arbeiterpartei zu weiteren Zugeständnissen gegenüber der weiter aktiven Opposition gezwungen. Solidarność hieß nicht nur Solidarität, sondern bedeutete in der Praxis auch den Zusammenhalt weiter Teile der Gesellschaft gegen das politische Regime. Aus Sicht Rzeplińskis war es ein Zugeständnis, das Verfassungstribunal 1986 mit neuen Kompetenzen auszustatten. Ein Jahr später folgte die Einführung des Ombudsmanns für Bürgerrechte als neue juristische Institution, die zwischen dem Staat und seinen Bürgern vermitteln sollte. Sie besteht bis heute.
Aus eigener Kraft aus der Krise
Der Vortrag von Andrzej Rzepliński ist der Auftakt zu einer Konferenz über Recht, Rechtssprache und Vorstellungen von Gerechtigkeit in Polen an der Universität Halle. Die Organisatorin Yvonne Kleinmann, Direktorin des Aleksander Brückner Zentrums für Polenstudien, betont in ihrer Einführung, dass sie die leitenden Forschungsfragen zur Rechtskultur in Polen mit ihren Kollegen lange vor dem Regierungswechsel in Warschau im Dezember 2015 formuliert hatte. Die Einladung des inzwischen regulär aus dem Amt ausgeschiedenen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs versteht sie nicht als politische Positionierung, sondern als Aufforderung, der Bedeutung des Verfassungstribunals in historischer Perspektive nachzuspüren und die aktuelle Debatte zu versachlichen.