Amerikanischer Gesetzentwurf „Sopa“ : Fragen Sie Ihren Arzt oder Informatiker
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Wer hier die Strippen ziehen will, muss sich bestens auskennen: vernetzte Rechner Bild: dpa
Urheberschutz gegen Meinungsfreiheit: Washington berät, das Netz bekämpft ein Gesetz, das Folgen für die Sicherheit im Internet und die Nutzer hat.
Er werde nicht über „diese Technik“ streiten, sagt Mel Watt: Er sei kein Nerd, auch wenn er vielleicht so aussehe und sich manchmal wie einer benehme. Die Unbedarftheit, mit der die Diskussion im Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses in Washington im vergangenen Dezember von dem demokratischen Abgeordneten aus North Carolina und anderen mitunter geführt wurde, ist schwer zu überbieten. Ebenso die Brisanz ihres Themas: Für die demokratische Abgeordnete Zoe Lofgren, in deren Wahlkreis das Silicon Valley liegt, wäre das Gesetz, dessen Entwurf zur Diskussion steht, schlicht „das Ende des Internets, wie wir es kennen“. Auch Jason Chaffetz, republikanischer Abgeordneter aus Utah, ist besorgt: „Wir operieren hier am Internet herum, ohne dass uns ein Arzt gesagt hätte, wie wir die Organe transplantieren.“ Chaffetz fordert dringend, die entsprechenden Ärzte zu Rate zu ziehen.
Die Operation ist unter dem Akronym „Sopa“ bekannt geworden. Der Stop Online Piracy Act soll dem illegalen Angebot von Filmen, Spielen, Büchern und Musikaufnahmen im Internet, aber auch dem illegalen Medikamentenhandel endlich einen wirksamen Riegel vorschieben. Der Weg: Neben der Blockade Urheberrechte verletzender Domains aus dem Inland sollen nach Gerichtsbeschluss auch die Unternehmen in die Pflicht genommen werden können, die mit solchen Domains aus dem Ausland in Verbindung stehen - sei es, dass sie Werbung für amerikanische Nutzer auf diesen Seiten verkaufen, Bezahlsysteme anbieten, die über diese Seiten genutzt werden, oder Suchmaschinen betreiben, die auf solche Seiten verweisen. Domaininhaber müssen nachweisen, dass sie Urheberrechtsverletzungen auf ihren Seiten verhindern - was die Betreiber von Youtube oder Vimeo vor ernsthafte Probleme stellt und vor die Frage, wie mit all den kleinen Urheberrechtsverletzungen zu verfahren ist, die als Teil der digitalen Fan-Kultur eigentlich bislang geduldet werden: von Amateurmusikern nachgespielte Stücke ihrer Idole, zum Spaß neu synchronisierte Filmausschnitte oder Persiflagen.
Die Liste der Unterstützer schrumpft
Lamar Smith, der als Vorsitzender des Rechtsausschusses den Gesetzentwurf eingebracht hat, meint, das Sopa-Gesetz werde Branchen schützen, die sechzig Prozent der Exporte ausmachen und in den Vereinigten Staaten neunzehn Millionen Arbeitsplätze stellen. Kein Wunder, dass die Verbände der amerikanischen Musik- und Filmindustrie zu den Unterstützern, wenn nicht Impulsgebern des Gesetzentwurfs zählen.
Der amerikanischen Filmindustrie entsteht durch Urheberrechtsverletzungen im Internet nach eigenen Angaben jährlich ein Schaden von 20,5 Milliarden Dollar. Zwar ist die Liste der Unterstützer seit dem vergangenen September um zwei Drittel geschrumpft, gerade erst haben sich Nintendo, Sony und der Spielentwickler Electronic Arts von Sopa distanziert. Doch die Phalanx der Unterstützer umfasst immer noch rund 120 Firmen und Organisationen.
Vielseitige Bedenken
Auch auf der anderen Seite stehen Giganten: Google, Facebook und Twitter zählen zu den prominenten Gegnern des Gesetzes, dazu Aktivistenverbände wie die Electronic Frontier Foundation und Graswurzelprojekte wie Wikipedia. Sie sorgen sich um die Meinungsfreiheit, die mit Sopa wirkungsvoll beschnitten werde, auch wenn der Gesetzestext mit der Feststellung beginne, die Meinungs- und Pressefreiheit dürfe keinesfalls beeinträchtigt werden. Sergey Brin, einer der Gründer von Google, meint, mit Sopa stelle sich Amerika auf eine Stufe mit den repressivsten Ländern der Welt.
Auch die Spezialisten, nach denen Jason Chaffetz gerufen hat, haben sich zu Wort gemeldet: Mehr als achtzig namhafte Informatiker brachten in einem offenen Brief an den amerikanischen Kongress die Sorge um „ihr“ Projekt zum Ausdruck, das man heute gemeinhin Internet nenne. Die Konstrukteure, Programmierer und Verwalter des Internets warnen vor der Gefahr für die Meinungsfreiheit und vor Innovationsfeindlichkeit, und sie weisen auf Verbindungsfehler und schwerwiegende Sicherheitsprobleme hin, die sich aus der Umsetzung von Sopa ergäben, und zwar unabhängig davon, an welcher Stelle - ob in der Systematik der Domain-Namen, über Firewalls oder spezielle Server - technisch ins Internet eingegriffen werde. Unterstützung finden die Kritiker auch von staatlicher Seite: Die Sandia National Laboratories teilen die Befürchtung, das geplante Gesetz könne sich negativ auf Sicherheit und Funktion des Internets in Amerika und weltweit auswirken.
Ein Warnsignal
Zum Glück wird nicht gleich am Internet, sondern vorerst lediglich am Gesetzentwurf herumgebastelt. Und dazu ist noch Gelegenheit: im Rechtsausschuss, im Plenum des Repräsentantenhauses oder im Abgleich mit der zweiten Kammer, dem Senat, die am 24. Januar das Gegenstück der Gesetzesvorlage unter dem Namen Protect Intellectual Property Act (Pipa) verhandelt, oder vor der Unterschrift des Präsidenten.
Ein Warnsignal ist dieser Vorstoß in jedem Fall. Wie ernst ihn Google, Amazon, Ebay und Yahoo nehmen, zeigen deren Überlegungen, an einem Tag gemeinsam ihre amerikanischen Nutzer auf eine schwarze Startseite zu führen, auf der die Unternehmen vor den Gefahren von Sopa warnen und dazu auffordern wollen, bei den Abgeordneten gegen das Vorhaben zu protestieren.
Wie nervös die Beratung des Gesetzes im Internet verfolgt wird, zeigte die Aufregung um die Vertagung der Diskussion: Gerade hatten die Aktivisten nach zwei Tagen Debatte im Rechtsausschuss Mitte Dezember aufgeatmet, weil im alten Jahr nun wohl nichts weiter passieren würde, als über Twitter die Warnung vor einer Finte des Vorsitzenden die Runde machte: Der wolle die vorweihnachtliche Ablenkung nutzen und morgens früh am 21. Dezember den Ausschuss doch noch einmal zusammenkommen und über den Gesetzentwurf befinden lassen. Doch diese Sitzung wurde schließlich wieder abgesetzt. Es ward Frieden auf Erden, während im Internet weiter gegen Sopa gewütet wird. Im Rayburn House in Washington soll die Debatte Mitte dieses Monats nun fortgesetzt werden.