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AfD im Bundestag : Es reicht nicht zu sagen, das gehört sich nicht!

Wo ist die Grenze zwischen Gegenposition und Zersetzung? Wenn die Rechte im Bundestag mitregiert, muss anders verhandelt werden. Bild: dpa

Von nun an wird im Bundestag über die Demokratie selbst gestritten werden. Das Konsens-Parlament hat ein Ende. Ist das eine Chance für die politische Debatte – oder eine Falle?

          6 Min.

          Die vielen besorgten Betrachtungen von Journalisten und Politikern über den Einzug rechter, zum Teil rassistisch formulierender Politiker in den Bundestag tragen, ebenso wie dieser Artikel hier, etwas Widersprüchliches in sich. So aufschlussreich die Psychologisierung und Soziologisierung der Milieus, die für den Wahlerfolg der AfD verantwortlich waren, im Einzelnen auch sein mögen, so bestätigen sie ungewollt doch eine die Rechten überhaupt erst konstituierende These: dass es nämlich ein großes, sich mit dem Ganzen der Gesellschaft identifizierendes „Wir“ gibt, das sich da, indem es solche Forschungen überhaupt erst erhebt und auswertet, über die Aufgefallenen, aus ihrer Mitte Herausgefallenen beugt. Wie gehen wir mit ihnen um, ist die Frage, die jetzt im Raum steht. Sollen wir sie, um Schlimmeres zu verhüten, lieber ausgrenzen oder besser einbinden? Dürfen oder müssen wir sie Nazis nennen?

          Mark Siemons
          Feuilletonkorrespondent in Berlin.

          Von der Existenz eben eines solchen großen „Wir“, das sich von einem „Nicht-Wir“ absetzt, das es ignorieren, bekämpfen oder therapieren will, leben aber überhaupt erst die Rechten. Sie nennen es „Establishment“, „System“ oder „Einheitsfront“, und sie meinen damit eine Verschwörung von Medien, politischen Eliten und Institutionen, die mit ihrer linksliberalen, humanistischen, universalistischen Ideologie das Volk um seine wahre Identität bringen wolle. Nur vor dem Hintergrund einer solchen Konstruktion bekommt ein Satz wie „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“ (Gauland am Wahlabend) überhaupt erst so etwas wie einen Sinn, genauso wie etwa Trumps Formulierung, am Tag seines Regierungsantritts sei „das Volk wieder der Herrscher dieser Nation“ geworden.

          Der Konsens als Gegner der Rechten

          Das Widersprüchliche aber ist: Obwohl jeder wissen kann, dass die behauptete Verschwörung pure Fake News ist, will in der öffentlichen Diskussion tatsächlich ein „Wir“ für das Ganze der Gesellschaft sprechen, das in Wirklichkeit, wie man seit Sonntag mit exakten Zahlen weiß, für höchstens 87 Prozent der Bevölkerung steht. Die Auflösung des Widerspruchs ist natürlich, dass sich das „Wir“ nicht als numerisch repräsentative Abbildung der Gesellschaft begreift, sondern als deren normatives Richtmaß, als Ausdruck des demokratischen Grundkonsenses, der die Bundesrepublik in all ihrer Vielfalt zusammenhält.

          Dieser Konsens funktioniert bewusst ein- und ausgrenzend: Er formuliert Tabus, zieht auch aus der speziellen deutschen Geschichte abgeleitete Grenzen, jenseits derer man sich auch ohne Angabe weiterer Gründe unmöglich macht. Die Verurteilung der nationalsozialistischen Verbrechen gehört dazu, der Respekt vor Menschen ungeachtet ihrer Ethnie und ihrer sexuellen oder politischen Orientierung, vor Menschenrechten überhaupt, auch eine gewisse Zivilisiertheit der Umgangsformen. Es ist also ein Konsens, der auf der Anerkennung universalistischer Prinzipien beruht, weshalb er von Rechten, die mit Verachtung von „Konsensparteien“ sprechen, ausdrücklich als Gegner markiert wird.

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