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Abschreckungspolitik : Darf man sie fotografieren?

Ausreise von Asylbewerbern: eine für alle Beteiligten unwürdige Situation. Bild: dpa

Schreiende Kinder, weinende Mütter, verzweifelte Väter: Bilder von Abschiebungen waren bisher kaum in die Öffentlichkeit gelangt. Das hat seine Gründe. Nun fordert ein CSU-Mitglied, mehr solcher Bilder zu zeigen.

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          Zu den tragischsten Momenten der aktuellen Flüchtlingskrise gehören Abschiebungen. Egal, wie unberechtigt ein Asylantrag war – der Moment der Abschiebung ist für die Betroffenen ebenso wie für die Beamten, die die Abschiebung durchführen müssen, eine kaum aushaltbares, traumatisierendes Ereignis. Oft findet der Zugriff frühmorgens statt, wenn die Abzuschiebenden noch schlafen. Was dann passiert, bedeutet: schreiende, verängstigte Kinder, weggetragene, weinende Mütter, verzweifelte Väter im Konflikt mit Beamten, die auch Familien und keine Freude an dem haben, was sie tun müssen. Der Hinweis, es sei für den deutschen Staat, um die Kontrolle über die Lage zu behalten und weiterhin gastfreundlich sein zu können, überlebenswichtig, unberechtigte Asylbewerber abschieben zu können, bringt allen Beteiligten in diesem Moment wenig.

          Niklas Maak
          Redakteur im Feuilleton.

          Es war also auch eine Frage des Respekts, dass es von diesen existentiell traumatischen Momenten kaum Bilder gab. Jetzt aber werden genau solche Bilder gefordert – und das nicht, um für die Traumatisierung der Abgeschobenen und der Beamten zu sensibilisieren. Der „Spiegel“ berichtet in seiner Online-Ausgabe, ein namentlich nicht genanntes CSU-Präsidiumsmitglied habe in einer Berliner Journalistenrunde gefordert, dass „wir in nächster Zeit auch mehr Bilder von Abschiebungen“ brauchen: Damit könne eine „abschreckende Wirkung“ unter Flüchtlingen erzielt werden, die vorhätten, nach Deutschland zu kommen. Ähnlich hatte sich ganz offen der baden-württembergische CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf geäußert; die Forderung, „Wirtschaftsflüchtlinge“ schnell zurückzuführen, verband er mit der Forderung nach „Bildern von Flüchtlingen“, die abgeschoben werden.

          Ein Warnaufkleber für Deutschland

          Die Forderung ist keine nebensächliche, sie wendet einige Jahrzehnte bundesrepublikanischer Bildpolitik in ihr Gegenteil: Es sollen auf einmal offizielle negative Deutschland-Bilder von ungewohnter Brutalität produziert werden, um Ausländer, die ihr Glück trotz fragwürdiger Rechtslage in Deutschland versuchen wollen, abzuschrecken. Deutschland soll, so wie der Raucher vom Rauchen mit der Abbildung eines Raucherbeins auf der Zigarettenpackung abgehalten werden soll, einen Warnaufkleber bekommen, auf dem die hässliche Möglichkeit der Abschiebung in aller Drastik abgebildet wird.

          Ein Staat definiert sich auch über die Bilder, die er produziert – und in der Bundesrepublik ging es bisher ausnahmslos darum, die Schrecken der Vergangenheit mit Bildern eines freundlichen und weltoffenen Landes zu überlagern: Der Kanzlerbungalow in Bonn war der architektonische Ausdruck elegant-pragmatischer Bescheidenheit, die Olympiabauten von 1972 in München sollten jeden dunklen oder herrischen Überwältigungsgestus vermeiden, sogar das recht ausladend geratene Kanzleramt in Berlin hat eine bewusst offene Fassade, aus der einzelne Teile vielleicht etwas teutonisch-trampelig, aber doch mit erkennbar guten, um ästhetische Öffnung bemühten Absichten in den öffentlichen Raum hineintanzen. Angela Merkels Selfie mit einem Flüchtling wird vielleicht als letztes politikonographisch wirkmächtiges Bild dieser ausschließlich heiter-weltoffenen, grundzuversichtlich auftretenden Bundesrepublik in die politische Bildgeschichte eingehen.

          Auch eine Bedrohung des christlichen Abendlandes

          Die Forderung nach mehr offiziellen Abschiebungsbildern setzt dieser Bildpolitik ein Ende. Deutschland soll gar nicht mehr nur einladend wirken. Deutschland, so das Argument, kann sich einen rein einladenden Auftritt nicht mehr leisten, es kann nur souverän bleiben, wenn es, ähnlich wie Ungarn, hässliche Bilder von sich in die Welt sendet.

          Ob diese Bilder dann tatsächlich Menschen beeindrucken können, die schon jetzt im Netz die Bilder ausgebrannter Flüchtlingsheime und die Reden von Björn Höcke anschauen können und trotzdem kommen, ist fraglich. Dazu kommt die Frage, wie es moralisch mit den hiesigen, gern beschworenen christlichen Werten zu vereinen ist, Menschen im Moment einer wie auch immer berechtigten Abschiebung als Verzweifelte zu zeigen, bloß um andere abzuschrecken.

          „Die unverhohlensten Darstellungen gelten Leuten, die besonders fremdartig wirken“, schrieb Susan Sontag in ihrem Essay „Das Leiden Anderer betrachten“: „Wenn uns die abgebildeten Menschen näher sind, wird vom Fotografen mehr Diskretion erwartet.“ Bei Asylbewerbern nicht. Abschiebungsbilder, aus Abschreckungsgründen veröffentlicht vom deutschen Staat, würden den Asylbewerbern nicht nur den letzten Rest ihrer Würde nehmen, sie würden das Selbstverständnis des Landes verändern. Die Bedrohung des christlichen Abendlandes kommt hier nicht von außen, sondern von Politikern, die pünktlich zu Weihnachten das C im Namen ihrer Partei vergessen haben.

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