Abschied vom „Turbo-Abitur“ : Warum ist G8 gescheitert?
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Wann soll es so weit sein? Abiturprüfung im Düsseldorfer Luisen-Gymnasium Bild: dpa
In der Debatte um den richtigen Weg zum Abitur reden viele mit. Nur die Befunde der Forscher zählen wenig. Dabei könnte ihr Blick unsere Gewissheiten erschüttern.
Nun ist auch Niedersachsen so weit: In der vergangenen Woche gab das Kultusministerium in Hannover bekannt, dass von 2015 an die Abiturienten des Landes in der Regel wieder dreizehn Jahre (G9) statt zwölf (G8) lernen sollen. Die Kultusministerin Frauke Heiligenstadt begründet dies mit dem „Dauerstress“ der Schüler.
Damit ist sie nicht allein: In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein gibt es bereits zahlreiche Gymnasien, die im Rahmen von Schulversuchen ganz oder teilweise zu G9 zurückgekehrt sind. In Bayern und Hamburg stehen Volksentscheide in dieser Frage an. Und in Hessen entscheiden die Gymnasien mittlerweile selbst, ob sie lieber G9 anbieten - allein in Frankfurt wollen bereits drei Viertel der Schulen diese Option nutzen. In den ostdeutschen Bundesländern aber, wo schon zu DDR-Zeiten die Hochschulreife nach zwölf Jahren erreicht wurde, bleibt es auch dabei.
Im internationalen Wettbewerb
Es sieht alles danach aus, als stünde eine der größten je in der Bundesrepublik unternommenen Bildungsreformen auf der Kippe. Dabei wurde G8 erst vor rund zehn Jahren fast überall in Westdeutschland etabliert - das Saarland war Vorreiter im Schuljahr 2001/02, Schleswig-Holstein stellte erst 2008/09 um.
„Das war eine Zeit, in der es immer hieß, wir müssen international wettbewerbsfähige Schul- und Studienabschließer hervorbringen“, sagt Karin Hechler, die Leiterin der Schillerschule in Frankfurt am Main. Damals habe man nach dem Pisa-Schock „dauernd über die Erfolge Finnlands im Bildungsvergleich diskutiert und darüber, dass die meisten Länder ihre Schüler in 12 Jahren zum Schulabschluss bringen. Das war wie ein Sog.“
Wie positioniert sich die eigene Schule?
Allerdings wurden vor allem „bildungsökonomische Gründe“ für den Wechsel zu G8 angeführt, sagt Isabell van Ackeren, Bildungsforscherin an der Universität Duisburg-Essen. Um Pädagogik, also um die Frage, wie man einen besseren Unterricht gestalten könne, ging es nur am Rande. Die Verkürzung der Schulzeit sollte nicht primär bessere, sondern jüngere Absolventen hervorbringen, die früher und damit auch länger einer Erwerbsarbeit nachgingen - angesichts des demographischen Wandels mit immer mehr Rentnern und immer weniger Kindern erschien das nur logisch. Damals wie heute gibt es in den Wirtschaftsverbänden eine breite Zustimmung zu G8.
So ging es vor zehn Jahren auch darum, die eigene Schule möglichst gut zu positionieren, sagt Hechler, deren Gymnasium zu den ersten gehörte, die in Hessen G8 umsetzten. Damals hätten man sich gefragt: „Wer wird das Elitegymnasium am Platz? Wer bekommt die besten Schüler, weil er früh mit G8 beginnt? Und wer ist dann umgekehrt die Gesamtschule unter den Gymnasien?“
Überhastet und planlos
Das zahlte sich aus, beispielsweise durch Zuwendungen an diejenigen, die sich der neuen Anforderung stellten und etwa die Nachmittagsbetreuung vorantrieben. „Eine Mensa und eine Bibliothek - das hätten wir bei G9 wahrscheinlich nicht bekommen“, sagt Hechler. Eine weitere Chance war, dass im Neuanfang auch der Unterricht im alten G9-System auf den Prüfstand geriet. Gab es da nicht tatsächlich mitunter Leerlauf? Könnte man nicht neue pädagogische Konzepte besser durchsetzen, wenn nun sowieso alles anders werden sollte?