Fußball und Integration : Sahin kontert Sarrazin
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„Kein Problem mit Integration”: Trotz ist Sahin fremd Bild: dapd
„Deutschland hat kein Problem mit der Integration“, sagt der Dortmunder Fußballprofi Nuri Sahin und widerspricht damit Thilo Sarrazin. Trotzdem spielt er für die türkische Nationalmannschaft. Doch dort werden Talente nicht konsequent gefördert.
Es geht um das Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei am Freitag, es geht um ihre Karrieren, die in Dortmund und Berlin begonnen haben und den einen in die türkische und den anderen in die deutsche Nationalelf geführt haben. Und damit geht es natürlich auch um Integration. Nuri Sahin und Jerome Boateng, ein türkisch-deutscher und ein deutsch-ghanaischer Star des Fußballs - der eine mit Dortmund auf Rang zwei der Bundesliga, der andere mit Manchester City in der Premier League -, sind von ihrem gemeinsamen Sponsor Nike zusammengebracht worden, und nach zwanzig Minuten kommt auch Thilo Sarrazin ins Spiel der Fußballstars. Sahin sagt, dass er das Buch nicht gelesen habe, über das alle diskutieren. Aber dass ihm überhaupt nicht gefällt, was darin über Muslime geschrieben wird, das merkt man schnell.
„Ich finde das nicht in Ordnung. Wir Muslime passen uns an. Die dritte Generation ist sehr gut in Deutschland integriert, viel besser als die früheren Generationen. In unserer Generation wird es keine Probleme mehr geben“, sagt Sahin. Er sagt das sehr ruhig, und er sagt das auch nicht zum ersten Mal. Es ist seine Generation, von der er spricht, und deren Integrationsleistungen er verteidigt. Und man merkt, dass ihm etwas daran liegt, ein Gegengewicht zu schaffen in einer Integrationsdebatte, die derzeit geprägt ist von den Schattenseiten, von Abgrenzung, Verweigerung, von Parallelgesellschaften.
Aber das sind nicht die Erfahrungen, die der 22 Jahre alte Sahin gemacht hat, und er ist überzeugt, dass es sich dabei auch nicht um die bestimmenden Erfahrungen seiner Generation bei der Integration in Deutschland handelt, sondern dass vieles gut funktioniert, zumindest weit besser, als derzeit darüber geredet wird. „Deutschland hat eigentlich gar kein Problem mit der Integration“, sagt Sahin. So etwas in diesen Tagen zu behaupten, das wirkt wie der eigentliche Tabubruch. Und wenn das mit der Anpassung so weitergeht, fährt Sahin auf dem Podium fort, „dann wird es aus der vierten Generation eines Tages auch einen türkischen Bundeskanzler geben“.
„Die Diskrepanz kann ich mir nicht erklären“
Sahin klingt nicht trotzig, wenn er Sarrazin kontert. Er klingt überzeugt. Sahin war einer der wenigen Türken auf dem Gymnasium, das er nach der elften Klasse verließ. Die Generation seiner Großeltern sei nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten, erzählt er, und als sie sich entschieden zu bleiben, holten sie die Kinder nach, mit vierzehn oder fünfzehn. „Aber unsere Eltern konnten die Sprache nicht, und wenn man die Sprache nicht spricht, dann zieht man sich eher zurück, wendet sich ab und hängt mit Türken zusammen“, sagt Sahin. In seiner Generation sei das anders, auf dieser Erfahrung besteht er. Dass Sarrazin mit der Beschreibung von Missständen in muslimischen Milieus solch großen Zuspruch erhält, lässt Sahin ratlos zurück. „Die Diskrepanz kann ich mir nicht erklären.“
Zurück ins Jahr 2005, zu Sahins Fußball-Integrationsfrage. Wäre er nicht schon so früh so gut gewesen, wäre er nicht schon mit 16 Jahren in Dortmund zum jüngsten Bundesligaspieler aufgestiegen, wäre schon ein entsprechendes deutsch-türkisches Vorbild vorhanden gewesen - dann wäre aus Sahin vielleicht ein deutscher Nationalspieler geworden. Auch so wird seine Geschichte mittlerweile gelesen.
Jeder geht seinen eigenen Weg
Seit Mesut Özils Aufstieg in der deutschen Elf muss er sich oft fragen lassen, ob er seinen Weg nicht bereut. Sahin bestreitet das. Und selbst wenn er es bereute, wie sollte er das sagen? „Ich bin mit Mesut, Serdar (Tasci) und Jerome befreundet“, sagt Sahin, „aber ich habe von der U15 an für die Türkei gespielt. Mesut, Serdar und Jerome haben in den U-Mannschaften für Deutschland gespielt.“ Es hätte „nicht gepasst“, sagt er, wenn er sich dann für Deutschland entschieden hätte, und umgekehrt auch nicht. „Die Jungs haben es nicht bereut, und ich habe es auch nicht bereut. Und das Wichtigste ist, dass man sich wohl fühlt“, sagt Sahin.
Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat er angedeutet, dass es für seinen Aufstieg in Deutschland besser gewesen wäre, wenn er sich für den DFB entschieden hätte. „Ich weiß, dass meine Leistung viel mehr in der Öffentlichkeit stünde, wenn ich mich für deutsche Auswahlmannschaften entschieden hätte.“ Und dass er „auf dem internationalen Niveau wie Mesut noch nicht mitwirken durfte“, dürfte ihm bei der WM bewusst geworden sein. Falls er das je darf.
Sportliche Fehlentscheidungen
Wenn man die Entscheidung, zwischen Nationalteams zu wählen, mit der Entscheidung für einen Profiklub vergleicht, hat Sahin sportlich viel falsch gemacht. Das weiß er. Vor genau fünf Jahren hat er sein Debüt für die Türkei gegeben, gegen Deutschland. Er wurde eingewechselt und erzielte in der 89. Minute den zweiten türkischen Treffer beim 2:1-Sieg, ein Traumstart. Aber seit dieser Zeit fördert nur die deutsche Nationalelf konsequent ihre Talente, nicht die türkische. „Wenn es nicht läuft, gibt es die Grätsche“, sagt Sahin.
Er hat keinen Stammplatz im türkischen Team, zuletzt saß er auf der Tribüne. „Es stimmt, dass uns Deutschland in diesem Bereich voraus ist.“ Er glaubt, dass unter Trainer Guus Hiddink die Jugend nun auch in der Türkei gefördert wird. Er findet, dass es Zeit dafür wird. Denn nicht nur in Dortmund, auch in der Türkei soll Sahins Zeit endlich kommen.