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Debatte um Maskenpflicht : Lasst die Masken fallen

  • -Aktualisiert am

Ein Bild aus vergangenen Tagen: Fahrgäste tragen Mundschutze und warten am Bahnsteig von Aarhus auf einen Zug Bild: dpa

Das, was in Deutschland gerade noch heftig debattiert wird, ist in Dänemark schon beschlossene Sache: Die Masken sind gefallen, die Menschen schauen sich wieder ins Gesicht. Wer jetzt noch einen Mund-Nasen-Schutz trägt, wird als Delinquent angesehen.

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          Das, was in Deutschland gerade noch debattiert wird, ist in Dänemark schon beschlossene Sache: Die Masken sind gefallen. Überall, wohin man schaut, sieht man wieder in offene Gesichter. Fast schon ein gespenstischer Anblick, wenn sich in einem überfüllten Food Court in Aarhus gestern die Massen aneinander vorbei schoben und an langen Biertischen ausgelassen Aerosole tauschten. Aus Boxen dröhnte Elektromusik, die Avocado-Bowls waren begehrt wie nie, und pro Sekunde wurden geschätzt fünfzehn Selfies gemacht – um sich und der Welt zu beweisen: jetzt ist alles wieder wie früher. Wer die wiedergewonnene Gewohnheit stört, bekommt böse Blicke. Wer also trotz der offiziellen Entwarnung weiterhin eine Maske trägt, sich dem kollektiven Freiheitsgebot nicht unterwirft, der wird jetzt in Dänemark, wo die Inzidenz noch erheblich höher ist als in Deutschland, als Delinquent oder Risikoperson angesehen.

          Denn nur, wer Corona-Symptome verspürt oder Kontakt zu einem Infizierten hatte, soll mittlerweile nach Ansicht der zuständigen Gesundheitsbehörde eine Maske tragen. Galt das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes eben noch als Ausweis von Umsicht, ist es nun über Nacht zum stigmatisierenden Zeichen geworden. Als würde unter seinem Hemdsärmel eine Pestbeule hervorquellen oder auf seiner Stirn ein furchterregendes Menetekel erscheinen, starrt die maskenlose Masse den einzigen Maskenträger an. Hier weicht einer zurück, dort gibt eine andere hektisch Zeichen, als würde man im Dunkeln ohne Licht fahren. Man spürt die Sorge, hier könne einer die eben erst wieder eingekehrte Ruhe stören. Und daran erinnern, was war, was immer noch irgendwo ist. Aber nicht hier. Nicht an diesem Abend. Endlich wieder ein ausgelassenes Lachen, ein verzogener Mund, eine gerümpfte Nase. Die Mienen lesen, ein Gegenüber haben. Masken gehören ins Krankenhaus, auf die Intensivstation – nicht an den Burger-Stand. Die Frau an der Espresso-Maschine zeigt einen Vogel, ein Familienvater dreht sich unwirsch weg. Alles gibt zu verstehen „Raus hier“.

          Ein paar Schritte weiter ist in einem Konferenzzentrum eine Teststation eingerichtet. Ungefähr fünfzig Zwanzigjährige stehen mit Teststäbchen in der Hand hinter Tischen und wippen mit den Hüften im Takt der Musik. Corona hat ihnen ein ganzes Jahr gestohlen. Das muss jetzt endlich vorbei sein. Die Schutzkittel hängen lose um den Hals, die medizinischen Masken sind herabgerutscht. Hinten an der Wand stehen Klappstühle, da sitzt man und wartet auf das Ergebnis. Die meisten schauen gar nicht auf den Zettel, den ihnen eine junge Frau lächelnd aushändigt. Sowieso negativ. Sowieso nur pro forma. Aber plötzlich hört man ein überraschtes Keuchen. Aus den Augen der Überbringerin ist plötzlich alle Sorglosigkeit gewichen, ungläubig fährt sie mit dem Finger über die Stelle auf dem Dokument, an der das entscheidende Kreuzchen steht. Dann ruft sie leise einen Namen auf, schüttet sich Desinfektionsmittel in die Hände und zieht sich ängstlich die herabgerutschte Maske straff.

          Simon Strauß
          Redakteur im Feuilleton.

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