Datenschutz in der Arbeitswelt : Eine neue soziale Frage
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In der modernen Arbeitswelt gilt Kreativität als oberste Tugend und die Nutzung eines Computers als Selbstverständlichkeit. Bild: dpa
Die Überwachung von Mitarbeitern ist heute alltäglich und ein lukratives Geschäft. Einen Schutz für die Angestellten gibt es kaum, weil die Politik dieses Vorhaben liegenließ.
Sein wahrer Name darf aus Datenschutzgründen nicht genannt werden. Alles Weitere, was sich zu ihm, nennen wir ihn Jochen, sagen lässt, entspricht allerdings der Realität. In dieser Realität dreht sich vieles um Datenschutz. Jochen besucht Ärzte, um für Medikamente zu werben. Seit kurzem arbeitet der Außendienstmitarbeiter nicht nur in einem mobilen, sondern ebenso papierlosen Büro.
Jochen verteilt beispielsweise keine Broschüren mehr, sondern zeigt Präsentationen auf einem Tablet-Computer. Auf diesem Gerät notiert er anschließend alles Wissenswerte von seinen Treffen. Nach jedem Besuch füllt er Formulare aus und gibt Einschätzungen ab. Er bewertet die Ärzte beruflich und persönlich, schreibt auf, wie lukrativ die Gespräche waren und welche finanziellen Möglichkeiten weitere Termine versprechen.
Der Computer registriert nebenbei lückenlos, wo Jochen ist und für wie lange. Er speichert, wie die Besuche in den Arztpraxen ablaufen, ob die Filme geschaut werden, über welche Seiten der Präsentation besonders lange gesprochen wird. Auch ob ein Arzt leicht ansprechbar war, oder die Termine immer wieder verschieben ließ, erfährt Jochens Arbeitgeber direkt vom Computer, der jeden Eintrag im Kalender meldet. Alles geht automatisiert vor sich.
Die Maschine tut alles, sie schreibt sogar das Arbeitszeugnis
Jochen nutzt den Computer, um Profile von Ärzten anzulegen. Gleichzeitig schreibt die Maschine ein stetig wachsendes Protokoll über Jochens Arbeit. Wenn das Jahresgehalt von Jochen verhandelt wird, ist diese Analyse als Zeugnis maßgeblich. Sie ist bedeutsamer als das, was Jochen aus erster Hand über seine Arbeit berichten wird.
Der transparente Außendienstmitarbeiter ist eine Verheißung für etliche Unternehmen. Damit sie im Falle des Medikamentenvertriebs zügig Realität wurde, beauftragte Jochens Arbeitgeber eine Softwarefirma damit, die dazu notwendige Technologie zu betreiben. Das System läuft als „Software as a Service“ auf den amerikanischen Servern dieses Unternehmens. Alle Arbeits- und Bewegungsprofile der Mitarbeiter samt der Ärztelandkarte, von der im Übrigen keiner der betroffenen Mediziner weiß, sind schutzlose, vogelfreie Daten. Das deutsche Unternehmen, das sie sammelte, darf mit ihnen arbeiten, aber nicht über sie verfügen. So regeln es die allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Diesen Einblick in die Arbeitswelt gibt eine Studie des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht in Frankfurt, die in diesen Tage erscheint. Der Einblick ist beispielhaft. Die Autoren - Juristen und Informatiker -, zählen weitere Fälle auf, von Betrieben, die gar nicht wissen, dass ausländische Softwareanbieter jeden Tastendruck in ihrem Haus mitlesen, oder von Unternehmen, die das sehr wohl wissen, die sich aber nicht darum scheren, weil kaum geregelt ist, wen sie darüber informieren müssen und ob dieser unbestreitbare Rechtsbruch sanktioniert werden kann.
Neuer Kampf für saubere Luft am Arbeitsplatz
Das Institut, sagt dessen Leiter, der ehemalige Justiziar der IG Metall Thomas Klebe, widmete sich damit „einem unsichtbaren Problem der modernen Arbeitswelt“. Bisher beschäftigte sich die Schriftenreihe der zur Otto-Brenner-Stiftung gehörenden Einrichtung mit den traditionellen Gewerkschaftsthemen: Arbeitszeiten, Tariflöhne und Streiks. Nun allerdings beschäftigen neue Probleme mit neuen Schwierigkeiten die Gewerkschaften. Zum ersten Mal, sagt Klebe, „reichen normative Vorgaben zur Lösung der Probleme nicht aus“. Es gehe um den Schutz von Personen, aber auch um Lösungen „am Objekt, mit direktem Bezug auf technische Gegebenheiten“.
Dieser Satz ist gewaltig. Gerade der Name Hugo Sinzheimer steht für die „normative Kraft“ des Tariflohns; einer allgemeinen arbeitsrechtlichen Lösung für ein individuelles Problem. Noch, heißt es nun im Text der Studie des Hugo Sinzheimer Instituts, werden die Gefahren der Datenverarbeitung aber nicht hinreichend als allgemeines Problem erkannt. Der Datenschutz wird heute nicht wie Umweltschutz diskutiert. Die Autoren der Studie werten das als gravierenden Fehler. Sie sehen die Betriebsräte im neuen Kampf für saubere Luft am Arbeitsplatz auf sich gestellt und mittellos.
Klebe und die Autoren der Studie schlagen deshalb einen neuen Weg ein. Über die Stärkung der Betriebsparteien, insbesondere des Betriebsrats, sollen Persönlichkeitsrechte am Arbeitsplatz besser gewahrt werden. Beispielsweise, indem Mitarbeitervertreter in die Software- und Sensortechnik Einblick erhalten, von der sie vorrangig zu ihrem Schutz überwacht werden. Die von Arbeitgebern stets konkreten „sachlogischen Argumente“ - Unternehmensgewinne - dürften nicht länger Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht rechtfertigen, nur weil Arbeitnehmer mangels Wissen keine ebenso konkreten Gegenargumente vorbringen könnten, heißt es in der Studie.
Computer können „gefährliche Technologie“ sein
Dafür brauche es auch neue staatliche Stellen, die ähnlich wie Kartellbehörden auf Basis tatsächlicher Ermittlungen scharfe Sanktionen aussprechen dürften. Unternehmen, denen heute Preisabsprachen nachgewiesen werden, drohen Strafen, deren Höhe mehrere Jahresgewinne abschöpfen können. Ähnliches solle nun auch für Datenschutzverstöße gelten, sagt Klebe. Wenn ausländische Server zwar als nutzerfreundliche Clouds verwendet werden, aber arbeits- und persönlichkeitsrechtlichen Anforderungen nicht genügten, seien sie zudem grundsätzlich als „gefährliche Technologie“ zu klassifizieren. Strafzahlungen seien dann eine wichtige Sanktion, als zweiter Schritt nach der ersten Abhilfe: der Stilllegung einzelner Systeme oder ganzer Betriebe.
Es sind Gewerkschaftswünsche. Den Rechtsrahmen eines derartigen Arbeitnehmerdatenschutzes gibt es nicht. Das Gesetzesvorhaben blieb unter der schwarz-gelben Regierung liegen. Weder das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das „immer wieder mühsam“ aus dem ersten Artikel des Grundgesetzes abgeleitet werden müsse, noch das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, entfalten heute ausreichend Wirkung in der Arbeitswelt, sagen die Autoren. Die Grundrechte nutzten faktisch nichts, wenn der technologische Wandel derart schnell voranschreitet und manche Unternehmen per Software-Update über Nacht umgekrempelt würden.
Behandelt wie Maschinen
Dabei gehe es mittlerweile um mehr als die Arbeitswelt. Vieles von dem, was Unternehmen heute Leistungsüberprüfungen nennen, sei tatsächlich „Mitarbeiterüberwachung“, die die Grenze zur privaten Sphäre kaum mehr kenne und „Rasterfahndung“ im Alltag bedeute. Für dreieinhalb Milliarden Euro kaufte beispielsweise SAP das Unternehmen „Success Factors“ und rüstete damit sein Portfolio mit Cloud-Lösungen im Human-Capital-Management-Segment nach. Es geht um Software, die Mitarbeiter in Tausende Datensplitter zerlegt, die alle Feedbackgespräche kennt, Einschätzungen von Kollegen auswertet und Zeugnisse ebenso parat hat wie die Werte der ständigen Leistungsdiagnostik.
An Software wie dieser lässt sich die Misere aufzeigen. Zum einen erlaubt die Technologie, Zielvereinbarungen bis in kleinste Details zu regeln. Auf der anderen Seite nützt den Arbeitnehmern die daraus folgende vermeintliche Freiheit, sich selbst zu organisieren, wenig, weil sie bei jedem ihrer Schritte überwacht werden. Der Arbeitgeber wird im Nachhinein immer wissen, weshalb Ziele nicht erreicht wurden. Das Monitoring ist selbst zur Managementmethode geworden, nach der Mitarbeiter wie Maschinen behandelt werden. An der „Voraussetzung der Freiwilligkeit“ für dieses „Kompetenzmanagement“ dürfe „gezweifelt werden“, schreiben die Autoren.
Die eigentlich durch Grundrechte garantierte Einwilligung durch die Betroffenen gebe es in vielen Bereichen der Arbeitswelt ohnehin nicht, heißt es weiter. In einem dieser Bereiche befinden sich Bewerber. Die Autoren der Studie kritisieren, „dass viele handelsübliche Systeme“, die Bewerbungen automatisiert auswerten, „den Vorgang des Löschens schlicht nicht kennen“. Dass mit dem Anklicken von allgemeinen Geschäftsbedingungen, mit denen sich Bewerber der Datenverarbeitung ausliefern, allerdings kaum ein Problem gelöst würde, sagt Klebe. „Die Einwilligung ist im Arbeitsverhältnis wertlos, sie kann nicht reichen.“
Die neue industrielle Revolution hat alte Probleme
Vor wenigen Wochen untersuchte er, in welche Arbeitsbedingungen Jobsuchende, häufig unbewusst, einwilligen. Klebe las die Geschäftsbedingungen von Bieterportalen, die wie Ebay funktionieren, nur dass dabei Arbeitssuchende gegeneinander um Aufträge für ihre handwerkliche und kreative Arbeit buhlen. Das Muster ist stets dasselbe: Die Arbeiter verschreiben sich einem der Portale exklusiv; sie erfahren nie, warum sie für einzelne Jobs abgelehnt werden; und die Nutzungsrechte an ihren Vorleistungen gehen an die Portale über.
Jobsuchende sind besonders schutzlos. Aber an ihnen lässt sich aufzeigen, was in ähnlichem Maß inzwischen für die Arbeitswelt im Allgemeinen gilt. Den häufig komplizierten Lagebeschreibungen folgen in der Studie erstaunlich übersichtliche Forderungen: Die Verarbeitung personenbezogener Daten dürfe nur geschehen, wenn sie einen legitimen Zweck verfolgt. Über die Zwecke und die Datenverarbeitung seien Beteiligte und Betroffene zu informieren. Im Falle eines Missbrauchs müssten wirksame Sanktionen greifen. Manche Prinzipien der Datenverarbeitung seien grundsätzlich zu verbieten.
An der Grundsätzlichkeit dieser Forderungen lässt sich allerdings auch ablesen, wie wenig die Gesetze derzeit regeln. Dass das Arbeitsministerium heute sozialdemokratisch geführt wird, weckt unter Gewerkschaftern noch wenig Hoffnung. Dabei geht es um eine handfeste soziale Frage, vielleicht nicht dramatisch existenziell, wie zur ersten industriellen Revolution. Aber im 21. Jahrhundert es geht wieder um alltägliche Ausbeutung.