Armenhaus Süditalien : Und was ist, wenn der Süden stirbt?
- -Aktualisiert am
Hier war der Luxus zu Hause: Ausgrabungsstätte im einstmals üppigen Sybaris an der Ostküste Kalabriens. Bild: picture alliance / United Archiv
Seit einem Monat hat Italien einen neuen Regierungschef, aber uralte Probleme. Als Erstes sollte sich Renzi vielleicht den Süden genauer ansehen. Wir sind schon mal ins Krisengebiet vorausgefahren.
SIBARI, im März
Vor langer Zeit gab es in der Stadt Sybaris ein Volk, das hatte den Lebensgenuss zum Staatsziel gemacht. Die schwerreichen Sybariten schwelgten und prassten und schlemmten, und weil sie beim Ausschlafen ihre Ruhe haben wollten, hatten sie Störenfriede wie Schmiede und Schreiner und sogar Hühner aus ihrer Stadt verbannt. Köche zahlten in Sybaris keine Steuern, und Sybaritinnen brauchten ein Jahr, um eine Einladung zum Essen anzunehmen, denn so lange benötigten die prächtigen Abendroben aus Kleinasien für die Anreise.
Sybaris wurde schon 510 vor Christus von Feinden zerstört, und das ist wohl der Hauptgrund für solche phantastischen Histörchen aus der Antike. Erst in den siebziger Jahren konnte man den Ort lokalisieren, in Süditalien am Meer zwischen zwei Flussläufen in einer fruchtbaren Senke gelegen, ideal für Handel sowie die Produktion von Lebensmitteln. Die Lage und das Klima sind identisch, doch es hat sich alles verändert seit der Antike. Das heutige Sibari gehört zu Kalabrien, dem Armenhaus Italiens.
Keine Mittel für Museen
Kalabrien gerät in der Regel nur wegen der Schwerkriminalität der mächtigen ’ndrangheta und ihres europaweiten Drogenhandels in die Schlagzeilen. Oder wegen der nie fertig werdenden Autostrada zwischen Salerno und Reggio an der Fußspitze des italienischen Stiefels. Seit Jahrzehnten baut der Staat - die gewerbliche Autostrada hat den Auftrag abgelehnt - vergeblich an den vierhundert Kilometern Autobahn herum, weil sich die Baumafia systematisch in die Planung gezwängt hat.
Eine Studie der EU konnte nachweisen, dass bis zu einem Viertel der Kosten für Nichtarbeitende ausgegeben wurden, dass minderwertige Baustoffe verwendet wurden, dass Brücken gleich wieder abgerissen werden müssen. Wer sich über diesen Torso der „Autostrada della Mafia“ bis Sibari durchgekämpft hat, den empfängt ein modernes, kleines, aber unbeheiztes Museum voller Schätze. Bis heute ist nur ein Bruchteil der antiken Fläche ausgegraben, doch es gibt Prachtstücke wie einen großartigen Bronzestier oder die orientalisierende Statuette einer feinen Sybaritin.
Postkarten, Kataloge, Bücher gibt es freilich nicht. Man sei seit dem Sybaritentum der Antike eben schwer heruntergekommen, klagt die Direktorin. Es gebe keine Mittel für Museumsdidaktik, für Computer, für junge Kräfte. Immerhin werkelt ein Bagger an einem Ausbau, wenngleich der fertiggestellte Pflasterweg zu den Grabungsstätten irgendwo im Nichts endet.
Im EU-Fördertopf direkt neben Bulgarien und Rumänien
Das Museum und die Grabungen von Sibari, die in anderen Ländern eine Welt-Sensation bedeuten würden, sind typisch für den Mezzogiorno, den armen und hoffnungslosen Süden Italiens, der das Krisenland noch tiefer in die Lethargie zieht und dessen Missstände endlich immer lauter beim Namen genannt werden.
Abends, beim köstlichen kalabrischen Essen in seiner Osteria, ein paar Kilometer abseits von Sibari, schüttelt Signor Ranieri den Kopf. Rund achtzig Angestellte versorge das winzige Museum. So gehe es überall. Der Bürgermeister seines Ortes hat soeben im Rat glücklich verkündet, dass die Region wieder im ärmsten Fördertopf der EU gelandet ist, genau wie Bulgarien und Rumänien. Das bedeutet für den Bürgermeister Geld und Posten. Aber für Kalabrien, so Signor Ranieri, bedeutet das eine Katastrophe.