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D-Day : Held aus Zufall

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Zadie Smith

Zadie Smith Bild: Jerry Baur

Vor sechzig Jahren landete der Vater der britischen Schriftstellerin Zadie Smith mit den alliierten Truppen an den Stränden der Normandie. Die Autorin erzählt seine Geschichte.

          11 Min.

          Als ich zwölf war, sah ich mir mit meinem Bruder den Film „Das Geheimnis eines Sommers“ an, in dem vier amerikanische Jungen nach der Leiche ihres Freundes suchen, der von einem Zug überfahren wurde. Das Ganze spielt in einer verschlafenen Kleinstadt im Nachkriegsamerika der fünfziger Jahre. Es scheint, als wollten die Jungen den Tod unbedingt so sehen, wie ihn die ältere Generation erleben mußte: unmittelbar, aus nächster Nähe. Für uns Teenager, die wir den Film im Jahr 1986 sahen, bedeuteten diese Kriegsechos natürlich nicht sehr viel, aber ich weiß noch, welche Verwirrung die Worte Teddy Duchamps in mir auslösten, des Sohns eines schizophrenen Kriegsveteranen, der seinen Vater vor dem Gerede der Leute verteidigt: „Mein Vater hat die Strände der Normandie erstürmt! Er war bei der Erstürmung dabei! Und was habt ihr getan?“

          Ich wußte, daß mein Vater im Krieg gewesen war. Ich wußte, daß die Väter der anderen nicht dabeigewesen waren - das hatte man klugerweise den Großvätern überlassen. Mehr wußte ich nicht. Harvey hatte mir nie davon erzählt. Als mein Bruder und ich meine viel jüngere Mutter vorsichtig fragten, stellten wir fest, daß sie ebenso wenig wußte wie wir. Wir waren wie drei kleine Kinder, die sich nicht trauten, einen alten Mann zu bitten, Dinge zu erzählen, die wir womöglich nicht hören wollten.

          „Erstürmt? Ich war dabei“

          An einem dieser endlosen Sonntage ergriff ich die Initiative. Ich verwendete genau die Worte, die ich im Film gehört hatte. Ob Harvey die Strände der Normandie erstürmt habe. Mein Vater sah mich erstaunt an. „Wo hast du denn das her?“ Ich nannte ihm die Quelle. Er runzelte die Stirn. „Erstürmt? Ich war dabei. Aber erstürmt? Ich weiß nicht.“ Und damit hatte es sich. Ich wurde älter und erfuhr aus verschiedenen Quellen das eine oder andere über den Krieg, aber nie von meinem Vater. Je mehr ich erfuhr, desto schwieriger wurde es, den Horror und das Heldentum der Normandie mit dem freundlichen, behutsamen Harvey Smith zu vereinbaren. Mein Vater ist ein sentimentaler Mensch, sanft und friedfertig und ausgestattet mit einem weichen Herzen, das nicht einfach blutet, sondern sein Blut in Strömen vergießt. Wenn ich meinen Vater abends anrufe, erlebe ich meist, daß er die Nachrichten niedergeschlagen und in Tränen aufgelöst verfolgt.

          Als ich mit einundzwanzig meinen ersten Roman schrieb, wollte ich eine Szene einbauen, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs spielt. Meinem Vater konnte ich nur zwei Informationen entlocken. Über den Panzer, in dem er saß („Es war ein Churchill. Ein Mordstrumm! Aber gefahren hat ihn jemand anderes, nicht ich“), und über seine Funktion („Funker. Nachrichtenwesen. Ich war ganz gut. War ja ausgebildet“). Militärische Auszeichnungen hatte er nicht - die hatte er verloren. Und auch keine Anekdoten („Nein, nein. Keine Geschichten ... Was gibt's da schon zu erzählen“). Ich schloß die Lücken selbst, stellte mir Harveys Krieg so gut vor, wie es eben ging. Wie er das Porträt fand, weiß ich nicht - er hat sich nie darüber geäußert.

          Tränen und Tatendrang

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