Content-Industrie : Ein ziemlich großes Ding
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„Content is King“
So hat Coca-Cola ein Happiness Institut eingerichtet, in dem Pädagogen und Glücksforscher Tipps und Reflexionen zur Lebensfreude offerieren und Blogger sich zu Themen wie: „So funktionieren Familien heute“ äußern. Das Produkt wird in einen Zusammenhang gestellt, mit dem sich eine maximal große Zielgruppe identifizieren kann: „Was gibt es Schöneres und was macht mehr Sinn, als daran mitzuwirken, dass die Welt ein wenig glücklicher wird? Seit mehr als 125 Jahren steht Coca-Cola für Lebensfreude.“ Der konkurrierende Getränkehersteller Red Bull sponsert nicht nur Fußballvereine und Extremsportler, er gibt auch ein Kulturmagazin namens „The Red Bulletin“ heraus, das „Belebendes für Geist und Körper“ verspricht und dadurch das Markenbild des Energydrinks als Filter für die Betrachtung der Künste benutzt: „Sei der Zeit einen Schritt voraus!“ Die Investmentholding Haniel, der mehrheitlich unter anderem Saturn und die Media-Märkte gehören, vertreibt das Magazin „Enkelfähig“, bei dem schon der Titel eine neckische Übersetzung der von der Unternehmensmarke behaupteten Nachhaltigkeit darstellt. Die einzelnen Ausgaben beschäftigen sich mit Themen wie Anstand, Mut, Alter und Wandel; „Anstand ist beim Nachwuchs das A und O“, findet da zum Beispiel ein Interview heraus, und schon erscheint der Elektronikshop-Eigentümer wie selbstverständlich als einer, der die Moral auf seiner Seite hat.
Die Branche fordert alle Unternehmen dazu auf, solchen Beispielen nachzueifern und zu Medien zu werden, damit sie beim Kampf um Hegemonie nicht ins Hintertreffen geraten. „Content is King“, lautet der Schlachtruf. Die vergiftete Pointe dieser Parole ist freilich, dass sie das Gegenteil dessen anzeigt, was sie ohne Ansehen des Kontexts zu meinen scheint: Nicht der Gehalt eines Textes, Bildes oder Films selbst soll wichtiger werden, sondern dessen Instrumentalisierung für eine übergeordnete Organisation. Das ist für die Funktionäre solcher Organisationen so selbstverständlich, dass man es ihnen nicht als Infamie auslegen kann, wenn sie nicht eigens darauf hinweisen. Für sie ist es gar nicht vorstellbar, dass es einen Gedanken oder eine Analyse außerhalb von deren Funktionalisierung geben könnte. „Alles ist Content“, lautet ein in der Branche übliches, wenngleich bei näherem Hinsehen abgründiges Bonmot. Je mehr Content, desto weniger Bedeutung.
Der Journalist wird ein Content-Ablieferer
Seitdem diese Betrachtungsweise in der Welt ist und vor allem durch das Internet auf jede Menge empirische Evidenz verweisen kann, ist nichts vor ihrer Infizierung sicher. Deshalb hat der Medienwissenschaftler Lutz Frühbrodt natürlich recht, wenn er in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung kürzlich darauf aufmerksam machte, dass das Content-Marketing die Grenze zwischen Werbung und Journalismus immer undeutlicher werden lasse. Doch diese Kritik geht noch davon aus, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Industrie- und einem Medienunternehmen gibt. Dies jedoch ist, wenn man einmal den strategischen Content-Blick auf alles Veröffentlichte angenommen hat, fraglich.
Sind nicht alle Text- und Bild-Erzeugnisse, die sich an den Erwartungen und Wünschen ihrer Konsumenten auszurichten, sie durch gezielt eingesetzte Trigger einzufangen suchen, Content? Und verlangt man heute, da es die Branche schwerer hat, nicht auch jedem einzelnen Journalisten ab, sich selbst zu vermarkten und so zum Content-Ablieferer zu werden? Lassen sich nicht sogar künstlerische oder philosophische Hervorbringungen, sobald sie sich an einem kulturellen oder intellektuellen Markt zu positionieren versuchen, als Content identifizieren? Je nach Blickwinkel erscheint nichts mehr unschuldig. Alles scheint vom Sog einer Logik mitgerissen zu werden, die zudem einen robusten materiellen Unterbau hat.