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Comic-Festival in Angoulême : Immer wieder am Checkpoint „Charlie“

Willkommen zurück, Bill Watterson: Das Plakatmotiv für Angoulême ist sein erster eigener Comic seit 1995. Bild: Festival Inernational de la Band

Bleibt alles anders nach den Pariser Morden: Auf dem Comicfestival von Angoulême, dem wichtigsten in Europa, vergewissert sich Frankreich seiner humoristischen und seiner solidarischen Kraft.

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          Die eigentliche Sensation des diesjährigen Comicfestivals von Angoulême fand auf dem Plakat statt. Deshalb bilden wir es hier rechts ab. Es zeigt einen wortlosen Strip in fünfzehn Bildern, aufgemacht im Stil eines Comics aus einer amerikanischen Sonntagszeitung. Das ist der erste Schritt in die Öffentlichkeit, den Bill Watterson seit 1995, als der amerikanische Zeichner überraschend seine Erfolgsserie „Calvin & Hobbes“ beendete, wagt. Seit damals ist der mittlerweile Sechsundfünfzigjährige noch konsequenter abgetaucht, als er es vorher schon war: keine Fotos, keine Auftritte, keine Auskünfte und vor allem keine Comics (mit Ausnahme gelegentlicher anonymer Bilder in den Serien befreundeter Kollegen).

          Andreas Platthaus
          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

          Dann bekam Watterson im vergangenen Jahr den Großen Preis der Stadt Angoulême zugesprochen, was zugleich bedeutete, dass er beim nächsten Festival dessen Präsident sein würde. Natürlich ließ er sich nicht blicken. Aber er schickte tatsächlich für alle unerwartet einen ganz neuen Comic fürs Plakat. Für Comicliebhaber bedeutet das so viel wie anderen eine neuentdeckte Erzählung von Proust oder ein unbekannter Vermeer. Zudem genehmigte der Künstler den Transport von mehr als hundert „Calvin & Hobbes“-Originalen für eine Ausstellung nach Europa, auch das bislang einmalig. Angoulême 2015, das verhieß somit vor allem Bill Watterson - bis zum 7. Januar und dem Attentat auf „Charlie Hebdo“.

          „Charlie Hebdo“ ist überall

          Danach war klar, dass das diesjährige Comicfestival im Zeichen des Terrors stehen würde, ob es wollte oder nicht. Das verlangte schon die Gewährleistung der Sicherheit für die Besucher. Und die Symbolpolitik sowieso: Gleich am Auftakttag wurde „Charlie Hebdo“ ein Grand Prix Spécial verliehen (F.A.Z. vom 31. Januar) und am Schlusstag dann die zentrale Place des Halles vom Bürgermeister in „Place Charlie“ umbenannt. Bislang hatte die Stadt nur die legendären Comickünstler Hergé („Tim und Struppi“) und René Goscinny („Asterix“) mit Straßennamen geehrt; nach André Franquin und Moebius sind immerhin öffentliche Gebäude benannt worden. Eine Ausstellung zur Geschichte von „Charlie Hebdo“ wurde in Windeseile zusammengestellt und fand im größten Raum des Comicmuseums von Angoulême ihren Platz. Und die ganze Stadt samt der Programmhefte zierte das gleichfalls in größter Eile neu gestaltete Solidaritätsplakat mit dem Festivalmaskottchen, einer von Lewis Trondheim, dem einflussreichsten lebenden französischen Comickünstler, gezeichneten Katze, der „Fauve“ (Bestie). Sie trägt nun ein Schild, natürlich mit der Aufschrift „Nous sommes Charlie“.

          „Charlie Hebdo“ im Mittelpunkt : Comicfestival von Angoulême

          Und wo blieb Bill Watterson? Sein nunmehr von den Ereignissen überholtes Plakat hing immerhin noch in den Läden, die es vorher ausgehändigt bekommen hatten; sonst spielte es in der Außenwerbung des Festivals kaum mehr eine Rolle. Die Stadt war stattdessen übersät mit vergrößerten Titelbildern von „Charlie Hebdo“. Die große „Calvin & Hobbes“-Ausstellung fand im Untergeschoss des ohnehin heruntergekommenen Espace Franquin statt, in einem wenig geeigneten Raum, der den Publikumsmassen kaum Platz bot.

          Da konnte man es sogar einmal als Segen bezeichnen, dass die Sicherheitskontrollen für lange Schlangen vor den Festivalschauplätzen sorgten. Beim Festival von Angoulême waren in den Vorjahren jeweils mehr als 200 000 Besucher gezählt worden; diesmal dürfte die Zahl etwas niedriger ausfallen, weil sich die Besucher von auswärts denken konnten, in was für eine Festung die weiße Stadt auf dem Felsen hoch über der Charente verwandelt sein würde.

          Demonstration für höhere Beteiligungen

          Überall stieß man in den vier Festivaltagen auf Checkpoints „Charlie“, im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinne. Denn was die Sicherheitsschleusen, Leibesvisitationen, Taschenkontrollen und Metalldetektoren nicht aufspüren konnten, was aber umso vehementer verlangt wurde, war eine unbeugsame Haltung gegenüber der Gefahr. Gleich vor dem Rathaus hatte die Redaktion von „Charlie Hebdo“ eine Holzbude bezogen, um Abonnenten für ihr Blatt zu werben; nur wer eines abschloss, bekam auch ein Exemplar der bereits mythischen, sieben Millionen Mal verkauften Sonderausgabe vom 14. Januar, des ersten und bis auf weiteres auch einzigen Heftes der Satirezeitschrift nach dem Massaker. Denn auch am morgigen Mittwoch wird „Charlie Hebdo“ noch nicht wieder regulär erscheinen.

          Selbst beim samstäglichen Protestmarsch der im Vorjahr gegründeten „Generalstände“ der französischen Comicschaffenden ging es nicht mehr nur, wie zuvor geplant, um höhere Autorenbeteiligungen, sondern auch um „Charlie Hebdo“. Das vorangetragene Banner beim einstündigen Demonstrationszug zum Rathaus von Angoulême verkündete: „Ohne Autoren keine Comics“ und wurde kurzerhand auch auf die toten Pariser Kollegen gemünzt. Lewis Trondheim führte den Marsch wortgewaltig an - eindrucksvolle Solidarität eines sehr Erfolgreichen mit den weniger begüterten Kollegen, zumal Trondheim, der dem Festival mit der „Fauve“ sein Gesicht verschafft hat und 2005 Gewinner des Großen Preises von Angoulême war, keinen einzigen offiziellen Auftritt im Programm hatte.

          Die vorbereitete Protestnote der Generalstände an den französischen Staatspräsidenten beschränkte sich auf Forderungen nach Verbesserung der finanziellen Situation von Zeichnern und Autoren. In Frankreich sind Comics als Kunstform wichtig genug, so dass solch ein Plädoyer auch gehört wird, zumal in der gegenwärtigen Situation. Dass sich François Hollande aber nicht selbst beim größten europäischen Comicfestival blicken ließ, wurde in Angoulême übel vermerkt; am letzten Tag kam wenigstens noch die Kulturministerin zur Schadensbegrenzung.

          In Gestalt von Jiro Taniguchi aus Japan und Richard McGuire aus Amerika waren unter den insgesamt 1800 akkreditierten Künstlern zwei Giganten der Comicavantgarde vertreten; zu Taniguchi gab es zudem eine große Retrospektive im Vaisseau Moebius, die allerdings mehr Faksimiles als Originale der Zeichnungen bot und sich bei den Originalen wiederum meistens auf farbig aquarellierte Seiten und Titelblätter beschränkte, die zwar eindrucksvoll genug sind, aber die erstaunliche graphische Handschrift des Japaners nicht so deutlich werden lassen wie die für ihn viel typischeren Schwarzweißseiten.

          Vergewisserung der eigenen Kraft

          Diesen Mangel wenigstens wies eine weitere spektakuläre Ausstellung nicht auf: Für die Präsentation von Tove Janssons „Mumins“ hatte man reiche Leihgaben aus der finnischen Heimat der 2001 gestorbenen Zeichnerin bekommen. Weshalb jedoch ausgerechnet diese schon mehrmals in Europa gezeigte Präsentation ihren Platz im Comicmuseum fand und somit wie die benachbarte „Charlie Hebdo“-Hommage und die Taniguchi-Schau im Moebius-Bau noch einige Wochen nach dem Festival zu sehen sein wird, das verstehe, wer will. Wattersons Arbeiten, zweifellos beliebter als die von Taniguchi, Jansson und wohl selbst „Charlie Hebdo“ zusammen, waren dagegen lediglich für die vier Festivaltage aus Amerika nach Frankreich gekommen. Der subtile Humor dieses Comic-Strips und der gegenüber den gedruckten Folgen ungeahnt virtuose Strich von Watterson, der nur in Ausnahmefällen minimale Überarbeitungen mittels Deckweiß vornahm, waren der ästhetische Kontrapunkt zum politischen Ernst des Festivals: Komik statt Trauer, Phantasie statt Realität, spielerische Tiger- statt blutige Mordattacken. Mag sein, dass Wattersons Liebeserklärung an sein eigenes Genre, die Zeitungscomics, als Plakatmotiv jetzt bisweilen Befremden ausgelöst hat, weil am Ende ein darauf dargestellter harmloser Bürger durch ein Missverständnis von der Polizei in Haft genommen wird, während sie der Attentäter von Paris nur tot habhaft werden konnte. Aber was könnte denn zugleich stärker wirken als dieses gedruckte Plädoyer für gedruckten Humor?

          Frankreich jedoch vergewisserte sich in Angoulême einmal mehr der eigenen Kraft: in der Durchführung des Festivals ohne Zwischenfälle und ganz zuletzt durch die Verleihung des Hauptpreises, der „Fauve d’or“ für den besten Comic des Jahres 2014, an Riad Sattoufs Album „L’Arabe du futur“. Da passte wirklich alles: das Thema (die Kindheit Sattoufs in Libyen und Syrien, die einen großartigen gezeichneten Einblick in die unterschiedlichen Mentalitäten von Orient und Okzident gestattet) und die Person des sechsunddreißigjährigen Künstlers, der noch bis zum vergangenen Sommer fester Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ gewesen war und eigens für die Sonderausgabe vom 14. Januar noch einmal seine früher dort abgedruckte Serie „La Vie secrète des jeunes“ (Das geheime Leben der Jugend) wiederbelebt hatte.

          Ihm ist als Sohn eines Syrers und einer Bretonin der kritische (und spöttische) Blick auf beide Kulturen angeboren, und niemand hat in den vergangenen Jahren erfolgreichere Comics über die überwiegend muslimische Jugend aus den Pariser Vorstädten gezeichnet als er. Seine Autobiographie, die noch weitere Bände umfassen wird, verlässt nun Frankreich und hält ein auf unmittelbare Anschauung gegründetes Werkzeug für das Verständnis jener paradoxen Mischung aus Minderwertigkeits- und Überlegenheitsgefühl der muslimischen Welt parat. „Mein Vater war ein Faschist“, hat Riad Sattouf in Angoulême drastisch gesagt, als er nach der Motivation für sein Album gefragt wurde: In den Arabern von morgen sah dieser Vater die Beherrscher der Welt. Das ist, dreißig Jahre nach den konkreten familiären Erlebnissen aus „L’Arabe du futur“, eine Einstellung, in der Frankreich die Ursachen für die Pariser Morde erkennt. An Sattoufs Comic führte also auf diesem Festival kein Weg vorbei.

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