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Neuer Job für Claas Relotius : Ein Fälscher für alle Fälle

Aus der Traum vom nächsten Journalistenpreis - Szene aus dem Film „Tausend Zeilen“, der auf dem Skandal beim „Spiegel“ um Claas Relotius beruht. Bild: Warner Bros.

Beim „Spiegel“ hat er mit seinen zum Teil frei erfundenen Reportagen für einen Skandal gesorgt, jetzt hat eine bekannte Werbeagentur Claas Relotius angeworben. Seine Jobbeschreibung eröffnet ganz neue Spielräume.

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          Als Bertolt Brecht einmal dringend ein Auto brauchte, schrieb er kurzerhand ein Gedicht über ein Auto: „Wir liegen in der Kurve wie ein Klebestreifen. / Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz“, hieß es darin unter anderem. Das war totaler Quark, führte aber pfeilgerad zum Ziel, denn Brecht hatte dem Gedicht den Titel „Singende Steyr-Wägen“ gegeben und bekam nun umgehend von der österreichischen Automobilfirma Steyr einen solchen Wagen zur Verfügung gestellt, der zwar nicht singen konnte, was Brecht, der ein verheerend schlechter Autofahrer war, aber nicht störte. Brecht hatte sich, was er gerade brauchte, kurzerhand erfunden, damit es Wirklichkeit würde – ein Tauschgeschäft Fiktion gegen Realität, Geist gegen Materie. So geht es zu bei den wahren Meistern im „Wahrheitsgewerbe“.

          Was man braucht, denkt man sich aus, so wie sich der Schriftsteller Martin Walser das Wort Wahrheitsgewerbe ausgedacht hat, als er es einmal dringend brauchte. Seitdem darf sich ein jeder frohen Mutes als Wahrheitsgewerbetreibender be­zeichnen, der ein Produkt herstellt, das zumindest ein Körnchen Wahrheit enthält. Das gilt für den Gesellschaftsroman, die Theaterkritik und für die preisgekrönte Reportage im Magazin, womit wir bei den reichlich großen Unwahrheitskörnchen wären, über die der Journalist Claas Relotius stolperte, als vor einigen Jahren herauskam, wie gut er sich darauf verstanden hatte, zu erfinden, was er für seine Reportagen beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ brauchte.

          Wie man eine Zielgruppe analysiert

          Auf die Journalistenpreise, die Relotius für seine Fälschungen eingeheimst hatte, folgten Enthüllung und Skandal, auf den Skandal der Rauswurf. Dann erschien noch rasch ein Buch zum Thema, und zuletzt wurde ein Film gedreht. Nun aber soll Relotius, wie zu hören ist, einen neuen Job gefunden haben. Dass er weiß, wie man die Bedürfnisse einer Zielgruppe analysiert, hat er bewiesen, als er seinen Vorgesetzten beim „Spiegel“ gab, was sie von ihm verlangten. Vermutlich deshalb dürfte jene Werbeagentur Relotius angeworben haben, die erfolgreich die Unwahrheit verbreitet hat, dass Geiz geil sei. Ist Relotius also dort angekommen, wo er hingehört?

          Vom Schriftsteller Walser stammt die kühne Behauptung: „Zu träumen genügt.“ Der neue Arbeitgeber von Relotius dürfte da ganz anderer Ansicht sein: Man muss die Träume anderer auch verkaufen. Claas Relotius hat als Verfasser von Werbetexten nun die Gelegenheit, Literatur und Werbung, Wirklichkeitsbeschreibung und Wirklichkeitserfindung miteinander zu versöhnen. Er sollte ausschließlich Werbesprüche für solche Produkte verfassen, die er sich selbst ausgedacht hat.

          Hubert Spiegel
          Redakteur im Feuilleton.

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