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Charta „ Digitale Grundrechte“ : Aufbruch im Rückwärtsgang

Martin Schulz, noch Präsident des Europaparlaments, gehört zu den Unterzeichnern der Charta Bild: dpa

Mit einer „Charta der digitalen Grundrechte“ will die Zeit-Stiftung mit prominenter Unterstützung von Politik und Kultur mächtig etwas bewegen. Der digitalen Entwicklung läuft sie aber hinterher.

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          Die Ähnlichkeit ist unverkennbar und beabsichtigt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes. „Die Würde des Menschen ist auch im digitalen Zeitalter unantastbar“, heißt es in der jetzt veröffentlichten „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“. Betreut von der „Zeit“-Stiftung haben 27 „Bürgerinnen und Bürger“ an ihr mitgewirkt. Es sind Journalisten der „Zeit“, Wissenschaftler, Schriftsteller, Ex-Politiker und Netzaktivisten, einer der Bürger ist Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europäischen Parlaments, der seine politische Zukunft seit kurzem in Berlin sieht.

          Hervorgegangen ist die Initiative aus Gesprächen, die der 2014 verstorbene Mitherausgeber dieser Zeitung, Frank Schirrmacher, der „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und Martin Schulz geführt haben. Nach dem Willen der Verfasser und prominenter Unterstützer soll ihr Entwurf diskutiert und dann zu einer „verbindlichen Digitalcharta“ werden, welche die Grundrechtskataloge der EU-Mitgliedstaaten „ergänzt und erweitert“. Dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (Libe) des EU-Parlaments wird die Charta am kommenden Montag vorgestellt.

          Wolkig und rückständig

          Doch braucht es eine solche Charta? Die EU-Kommission meint, in Person des Digitalkommissars Günther Oettinger: nein. Sie ist an den Themen, welche die Charta behandelt - der Schutz der Grundrechte vor dem Zugriff transnationaler Konzerne, die durch die Digitalisierung zu überstaatlichen, demokratisch nicht legitimierten, intransparenten Autoritäten werden -, auf operativer Ebene längst dran und sucht zum Beispiel die Übermacht von Google auf dem Suchmaschinenmarkt zu begrenzen. Und auch sonst sind Politik und Justiz inzwischen an den Themen dran, welche die „Digitalcharta“ aufruft. Um etwas zu bewegen und der Aushöhlung der Grundrechte entgegenzuwirken muss sie freilich, wie der Verfassungsrechtler Udo Di Fabio in dieser Zeitung anmerkte, die bestehenden Gesetze in der digitalen Sphäre auch anwenden beziehungsweise, wie der Geschäftsführer der VG Media, Markus Runde, an dieser Stelle schrieb, über ein „Digitalgesetz“ nachdenken, das ganz konkret Ansprüche der Bürger gegen Unternehmen formuliert, die mit ihren Daten handeln und die Parameter der Lebensführung eines jeden Einzelnen unmerklich verschieben.

          Dahinter bliebe eine „Digitalcharta“ der nun vorgestellten Art zurück. Sie ist der Stoßrichtung nach nicht falsch, aber im Zweifel so wolkig formuliert wie ein Gummiparagraph. So heißt es in Artikel 17: „In der digitalen Welt sind Pluralität und kulturelle Vielfalt zu gewährleisten. Offene Standards sind zu fördern. Marktmissbräuchliches Verhalten ist wirksam zu verhindern.“ Artikel 18 besagt: „Jeder Mensch hat das Recht auf digitalen Neuanfang. Dieses Recht findet seine Grenzen in den berechtigten Informationsinteressen der Öffentlichkeit.“ Artikel 22 hält fest: „Rechteinhabern steht ein fairer Anteil an den Erträgen zu, die aus der digitalen Nutzung ihrer Immaterialgüter erwirtschaftet werden. Diese Rechte müssen in Ausgleich gebracht werden mit nicht-kommerziellen Nutzungsinteressen.“ Das klingt nur scheinbar gut, ist in sich widersprüchlich und kann alles Mögliche bedeuten. Für eine Initiative, die ganz Europa durchdringen soll, ist das etwas wenig, zumal das Projekt daran krankt, dass es allein „Made in Germany“ ist. Ob Martin Schulz, der ja vielleicht Kanzlerkandidat seiner Partei wird, damit dann auch noch in den Wahlkampf zieht?

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

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