Zum Tode des Schauspielers Sven Lehmann : Akrobat der Formstrenge
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Sven Lehmann war ein intellektueller Körperartist. Nun ist seine unverwechselbare Stimme verstummt. Zum Tod des Ensemblemitglieds des Deutschen Theaters Berlin.
Als Säbelfechter schaffte es Sven Lehmann bis in die Jugendnationalmannschaft der DDR, ehe er sich, politisch nicht zuverlässig genug, anderen Dingen zuwenden musste. Aber etwas von der Schnelligkeit und Angriffsfreude, von der Grazie und Kraft dieser Sportart bestimmte seine weitere Kunst, die er nicht mehr auf der Planche, sondern auf der Bühne zu zeigen verstand.
Geboren 1965 in Borna nahe Leipzig, absolvierte Lehmann die Berliner Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ und war anschließend am Bremer Theater und am Bayerischen Staatsschauspiel München engagiert. Zwar fiel er in Inszenierungen von Konstanze Lauterbach, Andreas Kriegenburg oder Hans Neuenfels auf, in denen er seinen Figuren bei aller Hochgeschwindigkeit gern eine gewisse luftige Einsamkeit und melancholische Distanz bewahrte und sie mit unverwechselbar rauchiger, erdig-forscher Stimme zum Singen und Brummen und Abstürzen brachte. Am Deutschen Theater Berlin freilich, zu dessen markantesten, kreativsten und bedeutendsten Ensemblemitgliedern er ab 2001 zählte, traf er auch auf Michael Thalheimer, mit dem ihm elementare Rollengestaltungen gelingen sollten.
Das fing mit Lessings „Emilia Galotti“ an, in der er den Prinzen wie ein zwischen Pflicht und Neigung zerrissenes, sich höhnisch-stolz verstolperndes Topmodel über den hölzernen Laufsteg dieser legendären Inszenierung schickte, die acht Jahre lang im Repertoire blieb und bis 2009 um den halben Erdball tourte. Thalheimers puristischer, formstrenger Regiestil war für den intellektuellen Körperartisten Lehmann eine ideale Herausforderung, um alle Kräfte, Gedanken, Emotionen zu bündeln, ohne sie je ganz herauslassen zu müssen. Bei ihm glänzte Lehmann als zynischer, schludriger, fast kumpelhafter Schlabberpulli-Mephisto in „Faust I“ (2004) und „Faust II“ (2005), als vom Leben durchgerüttelter Maurerpolier Paul John in „Die Ratten“ (2007) oder als weltverzweifelter alter Baumert in „Die Weber“ (2011).
Wie komisch er auch sein konnte, konnte man an seinem Diener Just in „Minna von Barnhelm“ (2005, Inszenierung: Barbara Frey) bewundern oder an der Knallcharge von Bürgermeister bei der Uraufführung von Yasmina Rezas „Ihre Version des Spiels“ durch Stephan Kimmig letzten Herbst. Selbst von Mozart ließ sich der furchtlose Hobby-Dudelsackbläser nicht einschüchtern und gab 2009 in der „Entführung aus dem Serail“ an der Berliner Staatsoper bei seinem Lieblingsregisseur den Bassa Selim. Von Peter Hacks zitierte Lehmann manchmal den Satz: „Wir haben alles, außer Männer mit Geist“ - und nutzte jede Gelegenheit, einer zu sein. Drei Wochen vor der Premiere von „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in Thalheimers Regie musste er aus der Produktion aussteigen, weil er infolge einer längeren schweren Krankheit immer schwächer wurde. Am Mittwoch ist Sven Lehmann mit 47 Jahren in Berlin gestorben.