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Zum Tod von Maria Becker : Herrin ihrer selbst

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Maria Becker

Maria Becker Bild: dpa

Eine Königin im Formenreich: Noch in den ordinärsten Facetten ihrer Rollen ließ die Schauspielerin Maria Becker das extraordinäre Monument einer königlichen Lady aufblitzen. Jetzt ist sie im Alter von zweiundneunzig Jahren gestorben.

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          Sie kam immer schon wie aus einer anderen Welt. Schon zu ihren Hoch-Zeiten, als sie ihre Figuren streng und klar als Resonanzkörper meißelte, in denen die unbegreiflich hohen Werke als schön geformte Wortgestalten klingend auferstanden, wirkte sie wie eine Enthobene: den Forderungen jeglichen Tages entzogen. Ihr herrinnenhafter Zug ging ins Zeitlose. Auch wenn sie wusste, dass es im Zeitlosen keine Bahnhöfe gibt. Als Hure wie als Heilige, als Mephisto, 1977 in München, wie als Kardinal Richelieu in der „Achterloo“-

          Uraufführung Friedrich Dürrenmatts, 1983 in Zürich, als Schillers Elisabeth oder als Claudels Doña Proëza im „Seidenen Schuh“, als Kleists Penthesilea, als Shaws Heilige Johanna oder als Goethes Iphigenie - immer hatten die Größe und das Maß der Maria Becker nur einen Halt im Wort. Und in einer Form, die ihr mehr bedeutete als nur eine Hülle fürs Individuelle. Formen waren ihr etwas überpersönlich Heiliges. Ihm diente sie.

          Die herb Schöne

          So gestaltete sich ihr Theaterleben als großer, aber einsamer Objektivierungsversuch. Im Gewerbe, das nach der Ausbeutung subjektiver Extreme geradezu giert und in dieser Gier in den vergangenen, von ihr herzlich verachteten Dezennien immer ärger wurde, blieb sie ein Ausnahmefall. Damenhaft erratisch. Kühl. Aus der Zeit gefallen. Sie war noch eine der Ikonen des Theaters der fünfziger und frühen sechziger Jahre, in dem sie auch ihre schönsten Triumphe feierte: schon irgendwie existentiell berührt und interessant modern im An- und Widerschein der großen klassischen Figuren, aber völlig ungefährdet in Substanz und Kontur.

          Die Formen, die sie unnachahmlich herstellte, wurden ihr eigentlich mehr zu Partnern, als es die jeweiligen Kollegen waren, mit denen sie auftrat. Es ging ihr, der herb Schönen, der mokant Unnahbaren, szenisch nichts wirklich nahe. Noch in Ekstasen, im Schmutz, in den eine Penthesilea sich hineinsteigert, erhielt Maria Becker sich völlig sauber. So wurde sie zur Sprechspiel-Schwester im Geiste des 2003 gestorbenen Will Quadflieg, mit dem (und ihrem damaligen Mann Robert Freitag) sie denn auch 1956 ein eigenes, wanderndes Theater, „Die Schauspieltruppe Zürich“, gründete.

          Eine prädestinierte Einzelspielerin

          Die gebürtige Berlinerin, Spross einer Schauspieler-, Übersetzer- und Schriftstellerfamilie, die mit ihrer Mutter vor der Hitler-Diktatur erst nach Österreich und dann 1938 in die Schweiz floh, kam schnell ins später weltberühmt gewordene Ensemble des Zürcher Schauspielhauses, wo sie sofort in der ersten Reihe glänzte: als Brechts Shen Te im „Guten Menschen von Sezuan“ (1943), als Sartres Elektra in den „Fliegen“ (1944), als Sabina in Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen“ (1943). Ihr Können, ihr Habitus, ihre Sicherheit und ihre herrenfrauenhaft elegante Allüre, ihr ironisch bis arrogant beherrschter Kunstton prädestinierten sie zur Einzelspielerin. Regisseure schienen für sie nicht vorgesehen. Und wenn sie sich aus ihrer Tourneetruppe hinausbegab, die auf sie zugeschneidert war und mit der sie zum Beispiel weit ab vom Großtheaterschuss 1982 in Heilbronn die deutsche Erstaufführung von Leonard Bernsteins Musical „Candide“ herausbrachte - dann zu sehr ausgewählten Gelegenheiten.

          Wenn sie zum Beispiel die Martha in Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ 1964 im Berliner Schillertheater gab. Da hielt sie unter der Maske der alkoholischen und seelischen Verwüstung einer modernen, gedemütigten, in Rachegewittern sich berauschenden Frau wie von selbst die Erinnerung an die kühlen, hehren unverwüstlichen Penthesileas, Jeanne d’Arcs, Iphigenien, Marias und Elisabeths wach, die sie alle auch gespielt hatte.

          Unerbittlichen Tiraden gegen die Unfrommen

          So war sie auch Thomas Bernhards Präsidentin (abgelegte Gattin), die Meg in Behans „Geisel“ (gefinkelte Hure), die Irma in Genets „Balkon“ (gekrönte Hure), Sarah Bernhardt in Murrells „Memoiren“ (gefeierte Schauspielerin), aber auch Hochhuths Freifrau von Ardenne in „Effis Nacht“ (armer biographischer Papier-Abklatsch einer wirklich gelebt habenden Fontane-Figur). Noch in den ordinärsten Facetten solcher Rollen ließ sie das extraordinäre Monument einer königlichen Lady aufblitzen.

          Einer ihrer vorletzten Auftritte war ein Gastspiel an ihrem alten Haus, dem Pfauen in Zürich, wo sie als Madame Pernelle in Molières „Tartuffe“ auftrat. Der Regisseur und damalige Schauspielhausherr Matthias Hartmann setzte die große alte Dame in einen Rollstuhl und gab ihr freie Bahn für die unerbittlichen Tiraden gegen die Unfrommen im Hause Orgon. Ihre Stimme war so resonanzkörpersicher wie eh und je, ihre Augen versprühblitzten die Befehle einer Szenen-Königin. Naturgemäß in absolut beherrschter Form. Jetzt ist Maria Becker im Alter von zweiundneunzig Jahren in Uster in der Schweiz gestorben.

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