Unser Luther?
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Der Dramatiker Rolf Hochhuth im Jahr 2009 in der Akademie der Künste Bild: dpa
Sein „Stellvertreter“ löste den größten Theaterskandal der Nachkriegszeit aus. Er blieb kritisch gegenüber etablierten Autoritäten, spöttisch und jederzeit kampagnenbereit. Zum Tod des Dramatikers und literarischen Provokateurs Rolf Hochhuth.
Als am Abend des 20. Februar 1963 der Vorhang im Berliner Theater am Kurfürstendamm fiel und jubelnder Applaus losbrach, traten die Schauspieler nicht vor das Publikum. Regisseur Erwin Piscator hatte die durch ihre Verbeugung markierte Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit „wegen der besonderen Problemstellung des Stücks“ untersagt. In der Tat behandelte das, was der Öffentlichkeit hier zuvor in fünf ausufernden Akten präsentiert worden war, in erster Linie genau das: ein Problem. „Der Stellvertreter“, das Stück eines einunddreißigjährigen Verlagslektors aus dem westfälischen Gütersloh, stellte die moralaufrührende Frage, warum der Papst im Angesicht des faschistischen Massenmordes an den Juden schweigen konnte. Warum Pius XII. es nicht über sich brachte, öffentlich Anklage zu erheben gegen das menschenverachtende Unrecht und stattdessen zurückhaltend wie der Diplomat eines neutralen Staates auftrat. Zwar hier und da kritisierte und Verfolgten half, aber sich nicht entschlossen gegen die nationalsozialistische Vernichtungspolitik stellte. Diese Gewissensfrage wurde im „Stellvertreter“ zum dramatischen Gegenstand erhoben und machte seinen jungen Autor über Nacht weltberühmt.
Der heftige Streit, den er mit seinem Theaterstück auslöste, zog in den Monaten nach der Uraufführung weite Kreise. Fürsprecher lobten den moralisch gerechtfertigten Eifer, Widersacher kritisierten die leichtfertige Montage von Tatsachen und Fiktion. Robert Leiber, der Sekretär des angegriffenen Papstes, warf Hochhuth in dieser Zeitung am 27. März 1963 vor, von einem „leidenschaftlichen, fast krankhaften Widerwillen gegen Pius XII. erfüllt“ zu sein und rechtfertigte das Schweigen des Papstes mit der fadenscheinigen Furcht vor etwaigen Gegenreaktionen: „Man kannte den wahnsinnigen Vergeltungstrieb Hitlers. War es da nicht besser zu schweigen?“ Als die Kritik trotz allem nicht abebben wollte, sah der Vatikan sich schließlich gezwungen, streng vertrauliche Unterlagen aus den vatikanischen Geheimarchiven zu veröffentlichen, die Hochhuths Vorwürfe entkräften sollten. Erst im März 2020 gewährte der Vatikan der internationalen Forschergemeinschaft weitere Einblicke in bislang strenggeheime Dokumente.
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