Zum Tod von Sonja Nemirova : Eine singende Atomphysikerin
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Sonja Nemirova (rechts) als Tosca am Volkstheater Rostock, 1986 Bild: Dorit Gätjien
Als dramatische Sopranistin beherrschte sie die Bühne, als Regie-Assistentin brachte sie an der Seite ihrer Tochter das Musiktheater voran: Zum Tod von Sonja Nemirova.
Am Abend des 9. November 1989 stand Sonja Nemirova auf der Bühne des Volkstheaters in Rostock. Sie sang die Titelpartie in Richard Strauss Oper „Ariadne auf Naxos“. Bacchus kam und entführte sie aus der Welt des sicheren Todes in ein neues Leben. „Gibt es kein Hinüber? Sind wir schon dort?“, sang sie ungläubig. Im Saal waren kaum noch Leute. Es hatte sich herumgesprochen, dass in Berlin die Mauer gefallen war.
Ihre Tochter Vera Nemirova, heute eine der führenden Opernregisseurinnen Europas, hat diese Erinnerung in einem ihrer literarischen Texte festgehalten. Damals war sie noch Schülerin in Rostock. Mutter und Tochter waren 1982 aus Bulgarien in die DDR gekommen, die vor allem Pfirsiche und Sänger aus dem „sozialistischen Bruderland“ zu importieren pflegte. Sonja Nemirova sang in Rostock die großen dramatischen Sopranpartien wie Puccinis Tosca oder aber Beethovens Leonore in der schon damals gepflegten Urfassung von dessen „Fidelio“. Und sie ging international mit dem Ensemble auf Tournee.
Doch Sonja Nemirova war weit mehr als eine ausdrucksstarke, bühnenbeherrschende Sängerin. Die studierte Atomphysikerin, 1942 in Sofia geboren, war Ehefrau und Inspirationsquelle für den bulgarischen Autor und Regisseur Jewgeni Nemirov gewesen; sie war eine unermüdliche Gesangspädagogin mit reichem Erfahrungsschatz und theatralischem Mut an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin und zunehmend eine wichtige Assistentin ihrer Tochter bei den europaweiten Regiearbeiten in Oper und Schauspiel. Noch im April war sie nach Rostock zurückgekehrt, um dort an der Seite von Vera Nemirova „Das schlaue Füchslein“ mit dem Ensemble zu erarbeiten. Von dort ging es weiter nach Nürnberg, wo Vera und Sonja Nemirova Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“ ein erfrischendes Update verpassten. Danach brachen sie auf nach Bulgarien.
Wie das Volkstheater Rostock jetzt mitteilt, ist Sonja Nemirova, die seit längerem an den Rollstuhl gefesselt war, am 13. August in Sofia, kurz vor der Premiere der Inszenierung „Warten auf Mozart“ gestorben.