Uraufführung von Yasmina Reza : Fegefeuer der Peinlichkeiten
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Boris (Mark Waschke) und Andrea (Nina Hoss) gehen sich schrecklich auf die Nerven. Bild: Bresadola/drama-berlin.de
Wenn ihre Paare in Liebesinsolvenz gehen, zündet eine beißende Komödie der Peinlichkeit: Große Momente bei der Uraufführung von Yasmina Rezas neuem Stück „Bella Figura“ an der Berliner Schaubühne.
Die französische Autozulassungsnummer des dunkelfarbenen Peugeot 207, der auf der sonst leeren Spielfläche der Berliner Schaubühne in düsterem Lichte prunkt, ist „AH-522-RV“. Man fängt das an zu lesen und buchstabiert: „Aha“. Und wenn im Fond des Automobils das Licht angeht und der Mann am Steuer und die Frau auf dem Beifahrersitz sich wie in kurz aufkochenden Lächelattacken und vagen Streichelversuchen anzumachen und zugleich in kurz gefrorenem Abwehrmienenspiel auf Eros-Distanz zu halten scheinen, er in seiner saloppen Schluri-Dreitagebarthaftigkeit mehr genervt, sie in ihrer nervösen schmalköpfig überspannten Blondhaftigkeit mehr gezickt – dann reckt der „Aha!“-Effekt sein zynisch schütteres Haupt. Und was sie sich, fürs Publikum noch unhörbar, im Auto sprachlich um die Ohren hauen, wirkt allein von den Lippen- und Kopfbewegungen her auch hübsch à la „Aha!“.
Andrea ist Apothekenhelferin, Anfang vierzig, Alleinerzieherin einer neunjährigen Tochter; Boris Glasfabrikant, Ehebrecher, ebenfalls Anfang vierzig, verheiratet mit Patricia, zwei Kinder. Ihre völlig aussichtslose Affäre dauert schon vier Jahre. Und sie gehen sich furchtbar auf die Nerven. Der Peugeot steht auf dem Parkplatz eines Restaurants. Boris („Ich mach mir die Mühe und lad dich zum Essen ein“) ist das Restaurant, das er als Prolog für sein Schäferstündchen nutzen will, von seiner Frau empfohlen worden. Andrea („Findest du es normal, mit mir in ein Lokal zu gehen, das dir deine Frau empfohlen hat?“) empfindet das als Verrat. Boris („Oder wir nehmen ein Zimmer im ,Ibis‘ und vögeln gleich. Wär mir ohnehin lieber“) steht mit seiner Firma vor der Insolvenz, und auch das Geschäft des Liebemachens bringt ihn offenbar, wenigstens was seine Gefühlsbilanzen angeht, in Bankrott-Nähe. Andrea: „Mir egal.“
Der Mensch ist ein Abgrund
Den beiden bricht gerade der Boden unter den Liebesfüßen weg und sie bleiben mit den Beinen in der aufgebrochenen Erdkruste hängen, die noch unter jeder der Figuren der Dramatikerin Yasmina Reza sich aufgetan hat. Dass die Erdkruste nicht nur in ihrem Fall aus Boulevardasphalt besteht, tut dem Schrecken keinen Abbruch – es steigert ihn noch. Plötzlich ist da eine große Leere, in die sie hineinstarren. Für sie gilt wie in Rezas „Kunst“, wo ein weißes Bild, wie in „Dreimal Leben“, wo eine Abendesseneinladung, wie im „Gott des Gemetzels“, wo eine Kinderrauferei die Erdkruste bersten lässt: Der Mensch ist ein Abgrund, man lacht, wenn man in ihn hineinschaut.
Andrea und Boris könnten ja einfach wegfahren. Auf sie wartete nichts weiter als die Tragödie einer Geschlechterkampf-Hölle, in der wohl außer Sex nichts die Peinsamkeitsflammen wenigstens kurz zu löschen imstande wäre. Da sie aber beim Rückwärtsfahren Yvonne umfahren, die Schwiegermutter von Françoise, der besten Freundin von Patricia, der Frau von Boris – sind sie jetzt Gefangene des Fegefeuers einer Komödie. Mit Pointenbrandbeschleuniger. Françoise, ihr Freund Eric und Yvonne, die den Umfahrunfall unbeschadet übersteht, feiern den Geburtstag der Alten: im Restaurant, das die Frau von Boris ihrem Mann empfohlen hatte. Andrea und Boris müssen mittrinken, mitfeiern und taumeln auf überwachsenen Unglückspfaden hinein in eine Groteske der Peinlichkeit. Die heimlichen Ehebrecher werden aus dem Dunkel ins Licht gezogen.