Rachmaninows Schweizer Villa : Wo der Geist atmen kann
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Villa Senar, von Süden gesehen Bild: Jan Brachmann
Am Vierwaldstätter See liegt die Villa, die Sergej Rachmaninow sich 1933 bauen ließ. Sie ist ein Denkmal des Bauhaus-Stils. Noch ist sie für die Öffentlichkeit geschlossen. Aber zaghaft öffnet die Schatzkammer sich.
Noch kannte sich die Erinnerung in dieser Heimat nicht aus. Sergej Rachmaninow war hier nie zuvor gewesen. Und doch muss er etwas Vertrautes gesehen haben, etwas, das ihn sagen ließ: „Hier ist es gut“ – wie in einem seiner Lieder, das die Stille besingt, in der „nur Gott und ich“ sind „und du, mein Traum“.
War es der Anblick des Pilatusmassivs, das sich nirgends so mächtig zeigt wie hier, von Hertenstein aus, quer über den Vierwaldstätter See? Eine himmelwärts gerichtete Erhabenheit, gleichsam die in die Höhe gereckte Weite des Landes rund um sein verlorenes Gut Iwanowka? „Ich kaufe“, soll er leise gesagt haben, an diesem Septembertag des Jahres 1930, als er auf dem Grundstück gestanden hatte: zwanzigtausend Quadratmeter Land direkt am Seeufer, zu Füßen des Rigi-Massivs.
Dreizehn Jahre Exil lagen hinter ihm, seiner Frau und den beiden Töchtern, nachdem sie im Dezember 1917 Russland verlassen hatten, rasend hellsichtig geworden, dass sie keine Zukunft mehr haben würden unter dem neuen Regime. Seit November 1918 wohnten sie in den Vereinigten Staaten, verbrachten die Sommer teils in Deutschland, teils in Frankreich, wenn er, der bestbezahlte Pianist der Welt, keine Konzerte geben musste. Nur zum Komponieren kam Rachmaninow – mit Ausnahme des vierten Klavierkonzerts – nicht mehr. Das Exil war ihm zur Last geworden: „Es ist das Bewusstsein, dass ich keine Heimat habe. Die ganze Welt steht mir offen, nur ein Platz ist mir verschlossen, und das ist mein eigenes Land, Russland“, gestand er der Musical Times.
Anders als Sergej Prokofjew, der Stalin vor lauter Heimweh auf den Leim ging, beugte sich Rachmaninow nicht. Die Bolschewiki blieben für ihn Verbrecher. Vier Monate nach dem Kaufvertrag in der Schweiz unterzeichnete er in der New York Times vom 15. Januar 1931 eine Protestnote gegen die Glorifizierung der Sowjetunion durch Intellektuelle wie Rabindranath Tagore, die sich seiner Meinung nach vor den Karren der Propaganda hatten spannen lassen, um „die Schrecken des Sowjetstaates“ zu vertuschen. Für Rachmaninow stand „ganz Russland unter dem schrecklichen Joch einer zahlenmäßig verschwindenden, aber perfekt organisierten Bande von Kommunisten“, die „mit den Mitteln des roten Terrors dem russischen Volk ihre Missherrschaft“ aufzwinge. Am 20. März 1931 schloss er sich in der New York Herald Tribune dem Aufruf von 210 Exilrussen an, die die amerikanische Regierung zu einem strengen Handelsboykott gegen die UdSSR aufforderten, just in der Zeit, da George Bernard Shaw zur Kreml-Nachtigall mutierte und das Lob der stalinistischen Säuberungspolitik in die Welt flötete.
Es gab wenige Künstler von dieser Unbestechlichkeit und diesem Widerstandsgeist wie Rachmaninow. Lange vor den Büchern von Anne Applebaum hatte er versucht, dem Westen die Wahrheit über Stalin zu sagen, doch der Westen wollte sie nicht hören.
Der Preis dieser Kompromisslosigkeit war das Versiegen der Kreativität. Ohne den Bezug zu Russland konnte der enge Freund Tschechows, der Experte in orthodoxer Glockenpolyphonie, der passionierte Landwirt (der als einer der Ersten in Russland den Traktor eingeführt hatte) nicht schreiben. Aber: „Komposition ist ein wesentlicher Teil meiner Existenz wie Atmen und Essen. Es ist eine der notwendigen Lebensfunktionen“, bekannte er Ende 1941 in seinem letzten Presseinterview. Er muss geradezu erstickt sein, wenn er nach 1917 kaum hatte Musik schaffen können.