Schauspiel Frankfurt : Wer war erster: Gesellschaft oder Idiot?
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Albern, ernst? Szene aus „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ Bild: Birgit Hupfeld
Misogyne Surrealsatire ohne einen Hauch von Moral: Mateja Koleznik inszeniert am Schauspiel Frankfurt Witold Gombrowicz’ vergessenes Stück „Yvonne, die Burgunderprinzessin“.
Wenn man das Programmheft zu diesem Abend liest, dann spürt man den Enthusiasmus des Dramaturgen. Seine Lust, dem Publikum ein Theaterstück vorzustellen, das es höchstwahrscheinlich nicht mehr kennt. Alexander Leiffheidt heißt der studierte Philosoph und Literaturwissenschaftler, der in Österreich und Großbritannien gelebt und gearbeitet hat, bevor er 2010 ins deutsche Theatersystem wechselte und über Marburg und Bochum nach Frankfurt kam. In seinen „Notizen zum Stück“ stellt er unprätentiös Gedanken zur Rezeption und Bedeutung von Witold Gombrowicz’ „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ vor. Er schreibt anschaulich über die „reizende Erotik der Leere“, die in der Groteske von 1938 verborgen sei, reflektiert über die Entwicklungslinien der Figuren und gibt ehrlich zu, wie schwer eine Inszenierung dieses überzeichneten, von Absurdität und Sinnlosigkeit verzerrten Stoffes sei: „Kippt das Spiel auf die eine Seite, wird es zum toten Maschinenballett, auf die andere, zum banalen Familiendrama oder zur Shakespeare-Parodie.“
Während man üblicherweise von den meist schnell durchgeblätterten Programmheftchen gewöhnt ist, dass sie die Schlagworte der Zeit wiederkäuen, brav die Lieblingsvokabeln der aktuellen Diskursmacher aufsagen und sich ansonsten auf eine kurze Darstellung von Stückinhalt und Autorenbiographie beschränken, nimmt Leiffheidt das Genre der Programmankündigung ernst und führt mit wenigen, aber aufschlussreichen Kurztexten umfassend ins Stück ein. Auch er zitiert, aber eben nicht das, was gerade so an Theorietrivialitäten im Umlauf ist, sondern was sich aus der Rezeptionsgeschichte des ehemals viel gespielten Stückes ergibt. So bekommt nicht nur der früh verstorbene Marburger Literaturwissenschaftler Jürgen Joachimsthaler einen Auftritt, sondern auch der großartige Poesie- und Textvertreter François Bondy, dessen Sohn Luc 2009 in Paris eine eigene Opernfassung der „Yvonne“ auf die Bühne brachte.
Eine ins Explosive gewendete Idiotie
Die Erwartungen nach der Lektüre des Programmheftes sind groß. So groß eben, wie die Worte und Deutungen klingen, die einem auf dem Weg in den Zuschauerraum begegnen: „ein entfremdeter Spiegel“, „ein Abfallprodukt der Entstehung der Moderne“, „eine ins Explosive gewendete Idiotie“ – das alles soll dieses Stück sein. Was man auf der Bühne zu sehen bekommt, entspricht dann durchaus in vielem dem, was man gedruckt in den Händen hält: Zu erleben ist hier der seltene Fall einer Inszenierung, die ihrer Dramaturgie vertrauensvoll folgt. Die Leere zum Beispiel hat Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt beim Wort genommen und in den weiten Frankfurter Bühnenraum eine variable Drehscheibe gestellt, über der ein indirekt beleuchteter Kubus schwebt, der sich je nach Gemütslage der Protagonisten hebt und senkt.