Ein Kammerorchester voller Solisten
- -Aktualisiert am
Der Nachwuchs macht sich mit neuen Bedingungen bekannt: Studierende in der Orchesterausbildung an der Frankfurter Hochschule für Musik im November Bild: Lucas Bäuml
Bis auf Weiteres spielen die Orchester in Deutschland auch im Lockdown mit Abstand. Was stellt das mit den Klangkörpern an? Sind Traditionen in Gefahr?
Manchmal braucht es in der Musik ein Bild aus dem Sport. „Wenn das Fußballfeld plötzlich doppelt so groß ist, kommen die Flanken eben nicht mehr so genau ans Ziel.“ Stefan Dohr, Solo-Hornist und Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker, fasst damit die Situation zusammen, in der sich die Symphonieorchester befinden, seit sie coronabedingt auf Abstand spielen müssen. Eineinhalb Meter Distanz zwischen den Streichern, zwei Meter zwischen den Bläsern, so wird es nach wie vor – auch im Lockdown – bei den meisten Ensembles gehandhabt. Die anfängliche Freude der Musiker, überhaupt wieder gemeinsam spielen zu können, wich schnell dem Unbehagen über die Situation. Dirigenten wie Daniel Barenboim, Kirill Petrenko und zuletzt Iván Fischer im Gespräch mit dieser Zeitung klagen über die Auswirkungen auf das Zusammenspiel.
Das lenkt den Blick auf einen Organismus, dessen Innenleben dem Konzertbesucher gewöhnlich verborgen bleibt. Dass aus der neuen räumlichen Entfernung klangliche Verzögerungen entstehen; dass Flötist und Klarinettist, zwei Meter hintereinander sitzend, den Eindruck haben, sie spielten zusammen, während der Dirigent sie an seinem Pult versetzt hört, solche Verschiebungen bildeten gar nicht einmal die größte Herausforderung, sagt Stefan Dohr. Folgenreicher sei, dass sich die einzelnen Instrumentengruppen kaum mehr als klangliche Gemeinschaft wahrnehmen könnten. „Bei einem Posaunenchoral wie im letzten Satz von Johannes Brahms’ vierter Symphonie ist es kaum möglich, einen gesättigten, gemischten Klang zu erzeugen. Die einzelnen Töne verbinden sich nicht mehr zu einem homogenen Akkord.“ Dass ein Klang, der perfekt ausgestimmt ist, eine eigene Energie entwickelt und die Spieler gleichsam trägt, dieser Effekt entfällt. Und damit eine Sicherheit, die orchestrale Hochleistung befördert. Man spiele vorsichtiger in der aufgefächerten Sitzordnung, kämpfe aber gleichzeitig darum, dass das Ergebnis auch nicht zaghaft erscheine, berichtet der Solo-Hornist. Zaghaftigkeit will man sich als Berliner Philharmoniker nun wirklich nicht vorwerfen lassen.
Behalten Sie das Geschehen umfassend im Blick.
Zugang zu allen F+Artikeln
- Alle wichtigen Hintergründe zu den aktuellen Entwicklungen
- Exklusive Berichte zur Corona-Pandemie und anderen Themen
- Über 500 F+Artikel pro Monat
- Jederzeit kündbar
Sonntagszeitung plus
Jetzt F+ und am Sonntag Lesegenuss mit der FAS
Nur 5,95 € /WOCHE
- Starke Themen, mutige Standpunkte: Die digitale Sonntagszeitung
- Bereits am Vorabend ab 20 Uhr
- Zugang zu allen F+Artikeln
- Jederzeit kündbar
Login für Digital-Abonnenten
Sie haben Zugriff mit Ihrem F+ oder F.A.Z. Digital-Abo