Zum Tod von Gerard Mortier : Weltverbesserer, Bühnenbeglücker
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Gerard Mortier 1943 - 2014 Bild: dpa
Der Mann, der Opern entflammte: Als Intendant führte Gerard Mortier Europas Opernhäuser und Festivals zur Blüte und prägte eine ganz eigenen, neuen Stil. Jetzt starb er im Alter von siebzig Jahren.
Ein Zeitalter ist zu Ende: Gerard Mortier ist tot. Er starb in Brüssel nach kurzer, heftiger Krankheit. Für mehr als dreißig Jahre hatte „der kleine Herr Doktor“, wie ihn seine Musiker-, Dichter- und Dramaturgenfreunde zärtlich, aber respektvoll nannten, die alte Tante Oper immer wieder neu aufgemischt. Für Mortier ist Oper keine Prestigefrage, erst recht nicht das pure Pläsir. Er tat sich, seit er zum ersten Mal, in Brüssel 1981, ein eignes Opernhaus führte, konsequent mit Regisseuren, Bühnenbildnern, Choreographen und Musikern zusammen, die seine eigne idealistische Auffassung über die gesellschaftliche Bedeutung und den politischen Wahrheitskern eines musikalischen Kunstwerks teilten.
Dazu gehörten von Anfang an Luc Bondy ebenso wie Patrice Chéreau, Sylvain Cambreling, Ruth Berghaus, Peter Sellars, Peter Stein oder das Ehepaar Ursula und Karl-Ernst Hermann. Ein Netzwerk ist dann entstanden im Laufe dieser drei Jahrzehnte, ein Bruder- und Schwesternbund. Und welche Kommune, welches Kuratorium diesen flammenden Theatermacher auch immer engagiert hatte, in der Hoffnung, dass er ein eingerostetes Haus, ein steckengebliebenes Festival wieder flott machen werde, man durfte sicher sein: Es gibt garantiert Ärger; es wird garantiert teuer. Aber eben auch garantiert unerhört, aufsehenerregend, erschütternd, wahrhaftig, unwiederholbar – und unvergesslich.
Theater als Religion
In seinem noch unveröffentlichten Buch „Dramaturgie einer Leidenschaft“, das dieser Tage im Bärenreiter Verlag herauskommt, erklärt Mortier im Vorwort, was Theater für ihn bedeutet. Es handelt sich um eine Art Testament. Theatermachen heißt es da, sei „eine Sendung, ein priesterliches Amt beinahe . . . Das Theater ist eine Religion des Menschlichen.“ Und weiter: Es müsse auf der Bühne darum gehen, „die Routine des Alltäglichen zu durchbrechen, die Akzeptanz wirtschaftlicher, politischer und militärischer Gewalt als Normalität in Frage zu stellen, die Gemeinschaft zu sensibilisieren für Fragen des menschlichen Daseins, die sich nicht durch Gesetze regeln lassen, und zu bekräftigen, dass die Welt besser sein kann, als sie ist.“
Mortier war von Hause aus kein Künstler, er war ein studierter, promovierter Jurist. Aber nie zuvor wurden so viele zeitgenössische Werke des zwanzigsten Jahrhunderts bei den Salzburger Festspielen gezeigt, wie in den zehn Jahren, in denen Mortier dort wirkte, als Nachfolger Herbert von Karajans. Und als er direkt anschließend, im Jahr 2002 die erste Ruhrtriennale in Angriff nahm, erfand er, nach Besichtigung der bizarren Spielorte in stillgelegten Industriehallen, eine neue musiktheatralische Bewegungsform, die einerseits dem variablen Raumkonzept Rechnung trug und zugleich das alte, von Monteverdi bis Wagner verfolgte Ideal vom Gesamtkunstwerk noch einmal neu definieren sollte.
Er nannte diese Form „Kreationen“: Alles, was denkbar ist, muss in einer „Kreation“ realisierbar sein, jedes notwendige Mischungverhältnis von Tanz, Wort, Musik, Film, Schauspiel und Artistik. Eines der ersten Stücke, die aus diesem Ideenkompost erblühten, war die hinreißende Tragödien-Tanz-Tierschau „Wolf, oder wie Mozart auf den Hund kam“, 2003 gestaltet von Alain Platel und Les Ballets C. de la B.