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Mentales Training und Muskelentspannung : Was Berufsmusiker vom Profisport lernen können

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Die Pianistin und ehemalige Leistungssportlerin Henriette Gärtner Bild: Nadja Dosterschill

Beethoven zu spielen ist wie ein Hundert-Meter-Sprint eine sowohl körperliche als auch mentale Leistung. Trainingsmethoden des Leistungssports könnten auch Berufsmusikern eine große Hilfe sein.

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          Henriette Gärtner galt mit acht Jahren als das, was manche ein „Klavier-Wunderkind“ nennen: Sie trat in ganz Deutschland auf, gewann eine Reihe von Wettbewerben und konzertierte auch international, zum Beispiel gemeinsam mit dem Kammerorchester des Festival Strings Lucerne in der Schweiz. Was ihre Karriere besonders auszeichnete: Sie war zugleich als Leistungssportlerin erfolgreich. Dort wurde sie fünffache deutsche Meisterin im Twirling, dem athletischen Stabdrehen, das körperliche Höchstleistungen erfordert. Im Jahr 1993 stand sie sogar im Finale der Weltmeisterschaften dieser Sportart.

          Gärtner empfand das aber nicht als Doppelbelastung, wie sie heute mit 46 Jahren sagt. Im Gegenteil: „Aus der Musik habe ich Kraft gezogen für den Sport, und umgekehrt hat mir der Sport geholfen bei der Musik“, sagt die Konzertpianistin aus Spaichingen. Auch in ihrer Ausbildung führte sie später die zwei Welten zusammen: Sie studierte Sportwissenschaft in Konstanz und schloss ein Klavier-Studium an der Accademia Pianistica in Imola, Italien, an. „Es gibt viele Techniken aus dem Sport, um sich besser zu fokussieren und vorzubereiten, die man sehr gut auch als Profimusiker einsetzen kann“, behauptet sie.

          Der Lebenslauf der Pianistin aus Baden-Württemberg ist eine Ausnahme. Und doch ist ihre Geschichte beispielhaft für eine Erkenntnis an den Musikhochschulen, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker durchgesetzt hat: Mentales Training, Auftrittscoaching, Musikphysiologie, Bühnenpräsenz und Körperwahrnehmung sind in der Ausbildung des Musikernachwuchses immer präsenter. Wenig Beachtung bekommt bislang die Frage, inwiefern Berufsmusiker ganz konkret von den Methoden des Profisports profitieren können. Denn sowohl Berufsmusiker also auch Profisportler müssen Höchstleistungen abrufen, sei es beim Orchesterkonzert oder dem Olympiawettkampf – und sie müssen sich professionell darauf vorbereiten.

          Anfang Februar widmete sich ein Symposium des Zentrums für Berufsmusiker (ZfB) in Hamburg diesem Thema: Auf dem Podium sprach der Sportpsychologe Michael Kellmann von der Ruhr-Universität Bochum, der zum Belastungs- und Erholungsmanagement im Leistungssport forscht und dazu, wie fehlende Erholung zu einem Leistungsabfall führen kann. „Im Sport haben wir ein sehr systematisches Monitoring der Athleten, und ein Trainer kann auf Grundlage von Fragebögen genau sagen, wann sich eine Belastung zu lange über die Zeit zieht“, sagt Kellmann. Oft werde ohne professionelles Monitoring der Fehler gemacht: Wenn der Sportler merke, dass seine Leistung sinke, trainiere er noch mehr und härter, um dies zu kompensieren. „Das kann aber genau falsch sein und schlimmstenfalls in ein Übertraining beziehungsweise zu einem Untererholungszustand führen“, sagt der Sportpsychologe. Wie der Sport stehe auch die Berufsmusik unter der Prämisse: Je mehr, desto besser.

          „Wiederholen, wiederholen, wiederholen“: Das war auch der monotone Dreiklang, den Henriette Gärtner noch in ihrer Ausbildung hörte. „Die meisten Professoren redeten in den Neunzigerjahren und kurz nach der Jahrtausendwende lediglich vom Klang und nur selten darüber, wie man zu ihm findet“, sagt die Pianistin. „In der Musik ist im Vergleich zum Sport vieles unstrukturiert. Viele Musiker üben vor sich hin, ohne sich einen durchdachten und professionellen Übungsplan zu machen, der auf das nächste Konzert oder Vorspiel zugeschnitten ist“, beobachtet Gärtner.

          Um die Belastung im Zaum zu halten, rät sie aus eigener Erfahrung dazu, sich mit körperlichen und mentalen Methoden aktiv auseinanderzusetzen und beispielsweise Atem- und Meditationstechniken in die Übungsabläufe bewusst einzubauen. Weitere „mentale Trainings“, die teilweise auch schon an einigen Hochschulen unterrichtet werden, sind: autogenes Training, progressive Muskelrelaxation und Imaginationen, bei denen sich der Musiker die Situation des Auftritts auf positive Weise vorstellt und sich in eine optimistische Grundhaltung versetzt. „Auch Methoden wie Ideokinese, Feldenkrais, Dispokinesis, Yoga, Pilates, Qigong, Aikido, Gyrokinesis und viele andere sind sehr hilfreich“, sagt Gärtner. „Leider ist es in der Branche aber immer noch sehr verbreitet, dass wir Musiker viel zu stark nur auf unsere Fehler fokussieren“, so Gärtner.

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