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Ungarns Nationaloper : Wem die Stunde schlägt

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Es war von Anfang an zu spüren in einem ungemein präsenten, jeden individuellen Instrumentalcharakter unterstützenden Klangfarbenspiel in der Ouvertüre zu Ferenc Erkels Oper „Hunyadi László“, einem Pflichtstück der nationalen Musikkultur wie des kollektiven Gedächtnisses der Ungarn, das zu Unrecht bis heute keinen Platz im internationalen Repertoire gefunden hat. Das Schicksal teilt Erkels Oper mit den historischen Taten seiner Figuren, die man außerhalb Ungarns kaum kennt, auch wenn sich ein darauf zurückzuführendes abendländisches Ritual noch immer erhalten hat. Wenn heute in christlichen Ländern mittags die Kirchglocken läuten, so sollen sie auf päpstliches Geheiß an den Sieg János Hunyadis erinnern, der 1456 in der Schlacht bei Belgrad die Heere Sultan Muhammads II. schlug und so die Türken für weitere siebzig Jahre, bis zur Schlacht bei Mohács, aus Ungarn und weiten Teilen Europas fernhielt. Die Tradition des Mittagsläutens prägt nach wie vor den Alltag, der Anlass dazu steht in den Fußnoten von Geschichtsbüchern.

Erkels vieraktige große Oper stellt das Schicksal László Hunyadis, des Sohnes von János, in den Handlungsmittelpunkt, der nach dem Tod seines Vaters und vor der Thronbesteigung seines jüngeren Bruders Mátyás in die Intrigen und Machtkämpfe verschiedener Gruppierungen zur Zeit des schwachen Königs Ladislaus V. in Ungarn gerät und am Schafott endet. Der Intendant des Opernhauses Szilveszter Ókovács hat als Regisseur nun auf die seit neunzig Jahren nicht mehr gespielte sogenannte Originalfassung des Werkes zurückgegriffen, die all jene Arien, Tanzeinlagen, Ensembles, auch die Ouvertüre enthält, die nach der Urfassung von 1844 später von Erkel selbst hinzugefügt wurden und der komplizierten Geschichte größere Plausibilität verleihen. Auch sonst hat sich der Regisseur an den Inszenierungsvorgaben und der Aufführungstradition der Zeit orientiert und so mit dem Dirigenten Balázs Kocsár, der Kostümbildnerin Krisztina Lisztopád, dem Choreographen Tamás Solymosi und dem Chordirektor Gábor Csiki eine Produktion auf die Opernbühne gestellt, die einem Franco Zeffirelli alle Ehre gemacht hätte.

Was aber zunächst wie ein vordergründiges Ausstattungsspektakel mit Rampentheater erscheint, entpuppt sich dann als durchdachtes, die Personen klug führendes Regiekonzept im historischen Gewand. Daran hat freilich das Ensemble aus gestandenen Darstellern einen großen Anteil, allen voran der auch an deutschen Bühnen häufig engagierte Tenor Daniel Pataky als charakterschwacher Ladislaus V. sowie die beiden Bässe András Palerdi und Gábor Bretz als durchtriebene Intriganten Ulrik Cillei und Nádor Gara. Und natürlich der Tenor Szabolcs Brickner mit lyrisch ansprechendem Gesang als unglücklicher Titelheld, der nie so recht zu wissen scheint, was und vor allem wem die Stunde geschlagen hat.

Erkels Oper, die sich an die französische Grand Opéra eines Halévy oder eines Meyerbeer anlehnt und mächtige Chöre aufbietet, verfügt auch über drei höchst anspruchsvolle Sopranpartien; neben der Hosenrolle des jungen Mátyás Hunyadi, die hier in einen spielenden Knaben und eine singende Gabriella Balga aufgeteilt wurde, sind es die Partien von Erzsébet Szilágyi, der Mutter von László und Mátyás Hunyadi, und Mária Gara, der Geliebten des Titelhelden. Erika Miklósa als Mária und Klára Kolonits als trauernde Mutter László Hunyadis machen die Aufführung zum Fest für schwindelfreie Koloratursoprane. Allein dieser grandiosen Arien wegen sollten sich mehr Opernhäuser für die so dramatisch differenzierte wie melodisch üppige, in Budapest von Balázs Kocsár mit dem vibrierenden Opernorchester souverän zum Klingen gebrachte Partitur erwärmen.

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