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Offenbach in Österreich : Die Krise ist zum Lachen

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Von Monty Python inspiriert: „Orpheus in der Unterwelt“ an der Volksoper Wien mit Marco Di Sapia als Jupiter und Ursula Pfitzner als Juno. Bild: Barbara Pálffy

Auf vier Bühnen – in Linz, Graz und zweimal in Wien – sind derzeit Operetten von Jacques Offenbach in neuen Inszenierungen zu sehen. Wird die Gegenwart des Landes darin sichtbar?

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          Vier Offenbach-Premieren auf Österreichs Bühnen innerhalb eines Monats – das gab es vermutlich nicht einmal in den Jahren nach 1860, als der deutsch-französische Komponist einige Einakter für kleinere Wiener Bühnen und schließlich auch die romantische Oper „Die Rheinnixen“ (1864) für die damalige Wiener Hofoper geschrieben hatte. Was mag wohl vier Intendanten in Wien, Graz und Linz unabhängig voneinander dazu bewogen haben, Jacques Offenbachs Opéras-bouffes ausgerechnet in unserer krisenhaften Zeit auf ihre Spielpläne zu setzen? Folgt man Karl Kraus in seinem Aufsatz „Die Operette“ (1910) aus der Zeitschrift „Der Sturm“, dann könnte der Grund in dieser kritischen Situation selbst liegen: „Denn die Operette“, schreibt Kraus, „setzt eine Welt voraus, in welcher die Ursächlichkeit aufgehoben ist, nach den Gesetzen des Chaos, aus dem die andere Welt erschaffen wurde, munter fortgelebt wird und der Gesang als Verständigungsmittel plausibel ist.“

          Im Visier hatte Kraus das Zweite Kaiserreich Frankreichs unter Napoleon III., der sich 1852 nach Niederschlagung der Februarrevolution von 1848 zum erblichen „Kaiser der Franzosen“ krönen ließ. Den wirtschaftlichen Aufschwung unter seiner Regentschaft erkaufte er sich durch ein nahezu diktatorisches Regime, das im autoritären System des Hof- und Staatskanzlers Fürst von Metternich in der Habsburgermonarchie eine Parallele fand. Erst ein am Surrealismus des zwanzigsten Jahrhunderts geschärfter Blick, so meinte Arnold Hauser 1953 in seiner „Sozialgeschichte der Kunst und Literatur“, „vermochte festzustellen, dass die Operette nicht nur ein Abbild der frivolen und zynischen Gesellschaft des Zweiten Kaiserreiches war, sondern zugleich ihre Selbstpersiflage, dass sie, mit einem Wort, aus der Operettenhaftigkeit des Lebens selbst entstanden ist“. Womit ein direkter Bezug zum Österreich der Gegenwart hergestellt wäre: Die politischen Ereignisse der letzten Jahre, beginnend mit den prahlerischen Machtphantasien des ehemaligen FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache im sogenannten Ibiza-Video bis zum Fall des Ex-ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz, haben die Alpenrepublik wahrlich in ein Operettenland verwandelt, das fortwährend durch neu entdeckte, dreiste Lügengespinste, Chat-Protokolle, Korruptions- und Medienskandale erschüttert wird. Angesichts all dieser Turbulenzen halten Offenbachs auch heute noch brisanten Opéras-bouffes der kaum zu überzeichnenden Wirklichkeit den Spiegel vor.

          Dass in zwei der vier auf Deutsch gespielten Premieren auch der Krieg im Hintergrund lauert, dürfte hingegen eher ein Zufall sein. Denn die Auswahl der Stücke muss wohl vor dessen Beginn getroffen worden sein. Vielleicht zeigt sich darin aber ein nahezu Offenbach’scher Instinkt: Denn sowohl „Die Großherzogin von Gerolstein“ (1867) als auch „La Périchole“ (1868), deren Handlungen von Kriegen überschattet sind, entstanden kurz vor dem Preußisch-Französischen Krieg, der 1870 schließlich zur Gefangennahme und Absetzung Napoleons III. führte.

          Die Persiflage des Militärs in der „Großherzogin“, die der Regisseur Peter Lund in Graz in einem pseudohistorischen Ambiente burlesk in Szene setzte (Bühne: Ulrike Reinhard), erhält eine zusätzliche Spitze, weil dieser unsinnige Krieg einer höfischen Intrige entspringt, bloß um die kapriziöse Herrscherin bei Laune zu halten. Dennoch wirkt es angesichts der Ukrainekrise etwas fragwürdig, die Soldaten in kurzen Hosen und orangen Socken zu zeigen (Kostüme: Daria Kornysheva). Mit eingefügten Auftritten Offenbachs (der Schauspieler Daniel Doujenis) handelt sich die von Marius Burkert sicher dirigierte Aufführung ein weiteres Problem ein. Zwar erfährt das Publikum in Dialogen vor der Garderobe der Sängerin Hortense Schneider, der ersten Darstellerin der Großherzogin (Anna Brull in einer Doppelrolle), viel über das schwierige Leben des Komponisten und die Probleme vor der Uraufführung des Stücks, doch leidet darunter die Verständlichkeit des Handlungsablaufs.

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