Anton Tschechow war noch ein Gymnasiast, als er zwischen 1878 und 1880 seine Komödie „Platonow“ schrieb, ein juveniles Mammutprojekt, das wohl über sieben Stunden dauern würde, wollte man es ungekürzt aufführen. Deswegen nehmen es die Theater lieber gestrafft in wechselnden Streichfassungen ins Programm. Zentral geht es darin um Menschen in der Blüte ihres Lebens, die feststellen, dass diese Blüte allmählich zu welken beginnt. Sie könnten im Prinzip etwas dagegen tun und ihre Träume retten, ihre geheimen Gelüste umsetzen, ihren Sehnsüchten folgen – aber in Wirklichkeit können sie es nicht. Dieser Widerspruch ist ihnen stets quälend bewusst und zerreißt sie.
Was wäre indes, wenn diese voneinander angezogenen wie abgestoßenen Leutchen im Alter wieder zusammenkämen, wohl wissend, dass sie mittlerweile nichts mehr ändern können, sondern ihr Leben so, wie es ihnen misslungen ist, zu Ende bringen müssen? Gestützt auf diese Überlegung, hat der russische Regisseur Timofej Kuljabin nun „Platonow“ am Deutschen Theater Berlin zwar mit dem vorhandenen Ensemble inszeniert, dieses allerdings mit immensem maskentechnischen Aufwand bis zur Unkenntlichkeit herrichten lassen und als betagte „Veteranen der Bühne“ in einem Seniorenheim „irgendwo in Russland“ untergebracht.
Ein charmant verstaubtes Seniorenheim
Alle haben graue Haare, tiefe Falten, müde Knochen, steife Gelenke. Sie schlafen manchmal beim Reden auf ihren Stühlen ein und haben Mühe, sich später aus diesen hochzustemmen. Doch egal wie viele Jahre sie auf dem krummen Buckel haben, sie scheinen sich weder emotional noch intellektuell merklich von ihrer Jugendzeit entfernt zu haben. Die vier Damen schmachten weiter vergeblich wie entschlossen den einst als genial geltenden Platonow an, aus dem im Original bloß ein versoffener Dorfschullehrer wurde und der bei Kuljabin ein früher gefeierter Schauspieler ist. Der männliche Anhang der liebeswütigen Frauen leidet mürrisch bis still vor sich hin und empfindet sich dem, trotz allem, geschätzten Platonow als nicht ebenbürtig. Der wiederum lässt nichts anbrennen, wird damit aber auch nicht froh. So geht das seit Jahren – und wenn sie nicht gestorben sind, haben sie auch heute kein Glück . . .
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