Theaterskandal in Albanien : Ein moralisches Verbrechen
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Da wird ein Stück kulturelle Identität in Stücke gehauen: Abriss des albanischen Nationaltheaters am vergangenen Wochenende Bild: EPA
In einer Nacht- und Nebelaktion ist in Tirana das Nationaltheater abgerissen worden. Damit geht ein Teil der kulturellen Identität in die Brüche und der Konflikt zwischen Opposition und Regierung verschärft sich weiter.
Mit voller Wucht schlȁgt eine Baggerschaufel gegen die Fassade des Nationaltheaters in Tirana. Der Turm über dem Haupteingang des Gebäudes stürzt binnen kürzester Zeit in sich zusammen. Baustellenlicht beleuchtet das Gebäude, denn es ist noch dunkel, als die Pläne des Stadtrates für den Abriss des dringend sanierungsbedürftigen Theaterhauses am frühen Sonntagmorgen in die Tat umgesetzt werden – ohne Ankündigung. Trotz massiven Protests.
Über zwei Jahre hielt die „Allianz zum Schutz des Theaters“ (Aleanca për Mbrojten e Teatrit), eine Gruppe Theaterschaffender, das Nationaltheater in Tirana besetzt um den Abriss und die Privatisierung des öffentlichen Platzes im Zentrum der Hauptstadt zu verhindern. Bereits im Juli letzten Jahres kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Protestierenden. Erst vor wenigen Tagen hatte der Stadtrat die Maßnahme beschlossen, wonach der historische Bau einem Neubau weichen soll. EU-Kommissarin Mariya Gabriel hatte daraufhin vor „unumkehrbaren Entscheidungen gewarnt“ und zum Dialog aufgerufen.
Der Deal roch nach Korruption
Vor einigen Monaten noch wollte man den 8000 Quadratmeter großen Platz, auf dem das Theater steht, an einen Investor „verschenken“. Dieser sollte im Gegenzug ein neues, deutlich kleineres Theater errichten, zudem waren Hochhäuser und ein Einkaufszentrum geplant. Doch der Deal roch nach Korruption. Durch die anhaltenden Proteste der Theaterschützer konnte er vereitelt werden. Erion Veliaj, Bürgermeister von Tirana und Mitglied der Sozialistischen Partei des Premierministers Edi Rama, machte Zugeständnisse. Er versprach, dass die Stadt selbst den Neubau vornehmen würde. Die Finanzierung des 30-Millionen-Euro-Projekts solle über einen Kredit erfolgen. Doch die Gegner plädierten weiterhin für ein Referendum und die Sanierung des bestehenden historischen Gebäudes.
Am Morgen nach dem plötzlichen Abriss kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Bürgern und der Polizei sowie zu zahlreichen Verhaftungen. Unter die Protestierenden mischten sich auch Mitglieder der Oppositionsparteien, die Demokratische Partei (DP) von Lulzim Basha und die Sozialistische Bewegung für Integration (LSI) von Monika Kryemadhi. Sie haben sich inzwischen mit den Theaterschützern verbündet. Die Opposition kündige als Reaktion auf den Abriss erbost „Volksproteste“ für die kommenden Monate an. Der oppositionsnahe Präsident Ilir Meta wertete das Vorgehen der Stadtregierung als „konstitutionelles und moralisches Verbrechen“. Premier Rama hingegen nannte die Unterstützung durch die Opposition in Zeiten des „Krieges“ gegen die Pandemie „verantwortungslos“. Der Vorwurf, die Regierung nutze die strengen Ausgangsbeschränkungen, um in der Causa des Nationaltheaters Fakten zu schaffen, scheint sich zu bewahrheiten.
Schulterschluss mit der Opposition
Doch wie ehrlich ist die Anteilnahme der mittlerweile außerparlamentarischen Oppositionsparteien am Schicksal des Theaters? Auch dieser Konflikt scheint indessen zu einem weiteren Kriegsschauplatz zwischen Premierminister Edi Rama und der Opposition geworden zu sein. Letztere hatte bereits im Februar 2019 nahezu geschlossen ihre Parlamentsmandate niedergelegt, dies führte somit zur zeitweiligen Beschlussunfähigkeit des Parlaments. Die Regierung jedenfalls nutzte den Schulterschluss mit der Opposition zur Delegitimierung der Proteste und erklärte die Forderungen der Allianz für politisch motiviert. Der Opposition spielte das Chaos um das Nationaltheater in die Hände, weil diese schon lange eine Regierungskrise heraufbeschwören will.
Bis 2018 galt das Nationaltheater noch als denkmalgeschützt, Bürgermeister Veliaj hingegen bestreitet, es habe jemals diesen Status genossen. Der Denkmalschutz-Verbund „Europa Nostra“ zählte das Haus zu den schwer bedrohten Kulturbauten Europas – wie sich jetzt zeigt, zu Recht. 1939 wurde das Theater unter italienischer Besatzung nach den Plänen des Architekten Guilio Berté im italienischen futuristischen Stil erbaut. Es überlebte den Zweiten Weltkrieg und die vierzigjährige kommunistische Diktatur. Währenddessen und auch danach wurde es immer wieder zweckentfremdet, zum Beispiel als Gerichtssaal, in dem die Gegner des kommunistischen Regimes angeklagt wurden. Teil dieser Geschichte sind auch die zahlreichen Namenswechsel: „Savoia“, „Kosova“, „Volkstheater“, „Nationaltheater“. Der leidenschaftliche Kampf um den Erhalt das Baus zeugt von Gefühlen für ein Gebäude, die nicht in erster Linie ästhetisch motiviert sind. Das Haus hat sich vielmehr in das kollektive Gedächtnis vieler Albaner eingeschrieben. Der Abriss bedeutet den Verlust eines Stücks kultureller Identität.
Gegen die Diktatur
Auch die eindrucksvoll aufgemachten Pläne des Neubaus mit Freilichtbühne auf dem Dach, designt vom dänischen Architekten Bjarne Ingels, trösten die Protestierenden nicht. Sie werten den Vorstoß als Beginn der „Installation einer Diktatur“. Das Theater ist zum Widerstandssymbol gegen die empfundene Willkür seitens der Regierung geworden. Der Konflikt ist auch Symptom einer tiefgreifenden Spaltung Albaniens entlang der Parteilinien. Kastriot Cipi, Regisseur und Mitglied der „Allianz zum Schutz des Theaters“, erklärt gegenüber dieser Zeitung, der Fall des Nationaltheaters habe den konstitutionellen Missstand Albaniens deutlich gemacht: „Es ist Zeit für eine Debatte über Verfassungsänderungen“, sagt er und fordert eine grundlegende Wahlrechtsreform. „Ab jetzt protestieren wir nicht mehr für das Nationaltheater, sondern gegen die Diktatur.“
Bürgermeister Veliaj, der den Auftrag für den Abriss gegeben hatte, zeigte sich in einer Ansprache an die Protestierenden versöhnlich. Er möchte „den gebrochenen Herzen die Hand reichen“, Tirana gehöre allen und habe Platz für alle, sagte er. „Stürzt die Regierung!“ („Posht qeveria!“), brüllten die Protestierenden vor der Ruine ihres Nationaltheaters zurück. Das Gefühl, Tirana gehöre allen, scheint mit dieser Nacht-und-Nebel-Aktion endgültig passé.