
Theaterarbeit heute : So kommt Triggerow auf die Bühne
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Theaterarbeit als Tennismatch: Szene aus „Iwanow“ am Berliner Ensemble Bild: Matthias Horn
So geht Theaterarbeit heute: Konzipieren, erforschen, improvisieren und dann das Ganze in Szene setzen. Ein paradigmatischer Theaterabend am Berliner Ensemble.
In Bochum kann man endlich wieder den „Iwanow“ sehen. Jene überragende Tschechow-Inszenierung, die im Januar 2020 Premiere hatte und nur wenige Male zu sehen war, bevor die Pandemie zuschlug und unsere Stadttheater in düstere Unorte verwandelte. Jetzt also wieder zu sehen, in Bochum: vier eindrucksvolle Stunden Schauspielertheater, vier Stunden, nach denen man möglicherweise am eigenen Lebensentwurf zweifelt, aber dafür voller Hoffnung für die Zukunft des deutschen Theaters ist.
Paradigmatisches Programmheft
Schade nur, dass man an diesem Abend in einer anderen deutschen Großstadt mit B ist. Am Berliner Ensemble findet nämlich auch eine Aufführung von „Iwanow“ statt. „Frei nach Anton Tschechow“ bearbeitet und in Szene gesetzt von der Regisseurin Yana Ross. Bis vor Kurzem war sie noch assoziiert mit dem wegen seines Moralüberschusses in die Negativschlagzeilen geratenen Züricher Schauspielhauses, jetzt soll sie hier regelmäßig am Haus inszenieren. Über die Aufführung selbst könnte man manche Worte verlieren, könnte beschreiben, kritisieren, einordnen oder sich ärgern. Interessanter, weil paradigmatischer, ist, was im Programmheft zu den Produktionsbedingungen dieser Theaterarbeit steht.
Ein bisschen mehr Distanz?
Da wird die Regisseurin von ihrer Dramaturgin (warum eigentlich nicht von jemanden mit etwas mehr Distanz?) gefragt: „Welche Rolle spielt die Arbeit mit dem Ensemble bei dieser Kreation?“ Ross antwortet mit einem einleitenden Verweis auf die von ihr offenbar bewunderten Regiegrößen „Peter Brook und Arienne (sic!) Mnouchkine“ und gibt bereitwillig Einblick in den Arbeitsprozess: „Es gab lange vor Probenbeginn einen Workshop mit den Schauspieler:innen, worin wir erarbeitet haben, was die Tschechowschen Themen für heute bedeuten. Dann folgte eine konzeptionelle Vorarbeit mit dem dramaturgischen Team und Figuren wurden entwickelt. Wir entschieden, welche Themen und Diskurse weiterverfolgt und vertieft werden sollten. Als die reguläre Probenzeit begann, setzte ich mit den Schauspieler:innen diese Erforschung fort, schließlich entstanden in Improvisationen die eigentlichen Szenen.“
So leicht geht die Arbeit am Theater also vonstatten, denkt man beeindruckt. Da kommen zehn Schauspieler mit einer Regisseurin zusammen und unterhalten sich über relevante Themen. Und dann erforscht man weiter. Und dann entwickelt man Figuren. Und dann improvisiert man daraus die Szenen. So entstehen drei Stunden auf einer der angesehensten Theaterbühnen des Landes. Verführerisches Idealbild. Man stellt sich vor, wie eine junge Schauspielschülerin das liest oder ein Lehrer, der in Chemnitz Darstellendes Spiel unterrichtet. Und dann schaut man noch einmal auf die Bühne: Sieht das Ensemble auf einer Tennisklubterrasse sitzen und sich hoch ironisch, heißt: hoch provokativ nach ihren schlimmsten „Trigger-Words“ befragen. Man sieht’s, sitzt in Berlin und denkt dabei die ganze Zeit an Bochum.