Theater aus dem Libanon : So spiele ich an der Zensur vorbei
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Eine verschleierte Frau kann alles sein: Hanane Hajj Ali auf der Bühne in einer von vielen Rollen. Bild: Marwan Tahtah
Eine Kindsmörderin, Shakespeare und ein Geschlechtsakt: In aller Welt zeigt die libanesische Schauspielerin Hanane Hajj Ali ihr Stück „Jogging“. Zu Hause wird sie angefeindet – und tritt trotzdem auf.
Hanane Hajj Ali dürfte um die fünfzig sein und trägt ein schwarzes Kopftuch, das im Nacken von einem Knoten gehalten wird. Jeden Morgen joggt sie durch Beirut. Und abends steht sie häufig auf der Bühne. „Eine verschleierte Frau kann alles sein“, sagt sie an diesem Freitag im Ramadan, nachdem im nagelneuen, halbbesetzten Auditorium der Alba Universität ihre Vorführung beendet ist. Sie sitzt am Bühnenrand auf einem Hocker, ein Blumenstrauß auf dem Schoß, noch ein bisschen atemlos, aber schon wieder sie selbst – Hanane, zurückgekehrt aus all den Rollen, in die sie im Laufe ihres Stückes geschlüpft ist. So ist es immer.
Einen Abend lang wird sie zu Medea und Jason, liest aus dem Abschiedsbrief von Virginia Woolf, zitiert Shakespeare und wühlt sich ins Innere von Yvonne und Zahra, zwei Frauen aus dem Libanon dieser Tage, die ihre Kinder opferten. Binnen Sekunden taucht sie wieder auf, streift alles ab und stellt sich als Hanane Hajj Ali, Schiitin aus dem Süden des Libanons, den Fragen ihres Publikums. Die nach dem Schleier kommt besonders oft. Sie beantwortet sie stets mit der Geschichte von ihrer Großmutter, der es schon vor hundert Jahren gegen den Willen ihrer Familie gelungen war, den Mann ihrer Wahl zu heiraten. „Sie hat mir beigebracht, zu tanzen und zu improvisieren.“ Angesprochen auf die erotischen Szenen in ihrem Stück, erzählt sie von dem Scheich, der sie selbst einst verheiratete und dabei ganz selbstverständlich vorlas, wie sie sich als Frau ihrem Mann präsentieren solle – und er sich ihr. „So bin ich aufgewachsen. So spiele ich.“
„Ich spüre viel Druck“
Sie spielt allein. Aber ihr Stück spiegelt ihr Leben genauso wie die Geschichte ihres Landes mit seinen vielen arabischen und europäischen Einflüssen. Das Bühnenbild besteht aus einer rechteckigen Matte, die das Spielfeld markiert und auf die Ideen des englischen Regisseurs Peter Brook zurückgeht. Ihr Erzähler hingegen erinnert an die Figur eines Hakawati, eines orientalischen Geschichtenerzählers, der die Leute mit Stoffen fesselt, über die sonst niemand zu sprechen wagt.
Solche Geschichten finden sich im Libanon an jeder Straßenecke. Hanane sammelt sie seit Jahren, mit Vorliebe während der Morgendämmerung, wenn sich in Beirut die Konturen schärfen. Die verfallenden osmanischen Villen, die verschwindende Natur. „All die Dinge, die vom Krieg verschont, in der fälschlicherweise Frieden genannten Phase aber zerstört worden sind, habe ich notiert.“ Manche sind in ihr Stück „Jogging“ eingeflossen. Es handelt von den zwei Dingen, die ihr das Leben in Beirut erträglich machen: Theater und Sport.
Es dauerte fünf Jahre, bis es fertig war, weil Hanane Hajj Ali als Universitätsdozentin zunächst ihren Lebensunterhalt verdienen musste. Nun, da sie mit ihrem Stück so erfolgreich ist, haben sich die Prioritäten verschoben, aber das bleibt nicht ohne Folgen. „Ich spüre viel Druck“, sagt sie ein paar Tage zuvor auf dem Weg zu ihrer Wohnung in Hamra im Herzen Beiruts. Migräne macht ihr zu schaffen. Wenn sie spricht, schließt sie manchmal lange die Augen. Im Wohnzimmer stehen Dutzende Fotos ihrer Kinder, die, wie so viele Kinder des Landes, ausgewandert sind, in den Westen oder an den Golf. Hanane lässt sich in einer grünen Sofaecke nieder, ihrer Kommandozentrale mit Stiften, Zetteln, Telefon, Manuskripten und Fernbedienung. Es gibt keine Künstleragenturen im Libanon, jeder Künstler organisiert alles selbst.
Zu delikat, um es öffentlich anzusprechen
Im vergangenen Jahr war sie mit „Jogging“ zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen und zum Festival nach Avignon. Sie ist in Washington, Edinburgh und Singapur aufgetreten, tourt derzeit durch Schweden und wird demnächst in Deutschland spielen. In der arabischen Welt öffnen sich die Türen nicht so leicht. In Tunesien war es am einfachsten, in Jordanien hatte sie das Glück, auf eine mutige Festivalleiterin zu treffen, die bereit war, ein Risiko einzugehen. Aber im Libanon, wo das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Verfassung steht, hätte sie ihr Stück der Zensurbehörde vorlegen müssen. Dieser Demütigung wollte sie sich nicht aussetzen und beriet sich vor der ersten Aufführung mit einem Anwalt, welcher Argumentation man folgen könnte, würde sie festgenommen.