Wiener Burgtheater : Wer schreit, hat schreiendes Unrecht
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Zerplatzte Träume, geschundene Seele: Andrea Wenzl als Elisabeth Bild: Reinhard Werner/Burgtheater
Michael Thalheimer inszeniert Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ am Wiener Burgtheater. Fast kann das letzte Bild die Produktion mit ihren überzeichneten Figuren retten.
„Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“, heißt es im 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Nichts davon, gar nichts bleibt Elisabeth im „kleinen Totentanz in fünf Bildern“, mit welchem Untertitel Ödön von Horváth sein kurzes Drama „Glaube Liebe Hoffnung“, verfasst 1932, mehr verbittert als sarkastisch versah. Fünf Szenen sind ihm tatsächlich genug, dem Fräulein Elisabeth mehr als diese drei hochtrabenden Phrasen zu nehmen. Schon der Glaube daran, sie könnte in ihrer prekären Situation – abgebaut, wie man die Arbeitslosigkeit hier nennt, und vom Vater, einem kleinen Versicherungsinspektor, ist auch keine Hilfe zu erwarten – ihren Körper pro futuro, also ihren Leichnam, ans anatomische Institut verkaufen, wird abgeschmettert. Obgleich sie doch die hundertfünfzig Mark für einen Gewerbeschein braucht, als Korsagenvertreterin.
Ein „herzensguter“ ältlicher Präparator steckt ihr das Geld dennoch zu, sieht sich aber spätestens im nächsten Bild um seine Investition betrogen, was zu Elisabeths Verurteilung – zwei Wochen Gefängnis – führt. Die Liebe, die sie für den „schneidigen Schupo“ Alfons vielleicht tatsächlich empfindet, wird von diesem nur so lange erwidert, bis der erfährt, dass Elisabeth, sein Fräulein, seine Braut gar, schon vorbestraft ist. Geht gar nicht, wegen seiner Karriere. Daran zerbricht also die Liebe. Und nicht die Hoffnung stirbt zuletzt, die ist schon lange erloschen, nein, Elisabeth geht ins Wasser, weil sie „nichts mehr zum Fressen“ hat. Wird kurz noch von einem „tollkühnen Lebensretter“ aus dem Fluss gezogen, stirbt – „sanft“, wie Horváth in die Anweisungen schrieb – aber dann doch elendiglich an den Folgen des Suizidversuchs.
„Ich habe soeben einer Selbstmörderin das Leben gerettet. Tollkühn, was?“
So ein kleines tieftrauriges Stück am großen Burgtheater, da muss man doch etwas Besonderes unternehmen, hat sich Michael Thalheimer wohl gedacht. Und seinen langjährigen Mitstreiter Olaf Altmann beauftragt, ein – wie üblich: tiefschwarzes – Bühnenbild zu entwerfen. Diesmal kein Spalt, nein, ein Riesentrichter füllt die oberen zwei Drittel des Raumes und lässt in der Mitte eine kreisrunde Lichtöffnung frei. Sonst alles düster wie Elisabeths Aussichten. In den ersten zwei Bildern wird auch noch mit diesem Lichteffekt gespielt. Nur wer unter dem Lichtkreis zu stehen kommt, ist sichtbar, wer so leichtsinnig ist, etwa an die Rampe zu wandern, wird zur bloßen Silhouette. Die im Dunkeln sieht man eben nicht. Meist steht da Andrea Wenzl als Elisabeth in einem luftigen weißen, mit kleinen roten Blümchen verzierten Sommerkleid. Und meist schreit sie sich da die Seele aus dem Leib. Ein paar Mal tanzt sie sogar zu von irgendwoher dröhnender, jazz- und soullastiger Musik. Thalheimer hat sie aber offenkundig davon überzeugt, dass ihre Elisabeth ein insgesamt eher zur Hysterie neigendes Persönchen ist, denn sie gestikuliert auch wild und tobt, selbst wenn Ruhe angebracht wäre.
Auch die anderen Personen der Handlung werden grotesk, geradezu grell überzeichnet. Merlin Sandmeyers Schupo Alfons ist ein verklemmter, an Elisabeth schnuppernder, schnüffelnder, dazu auch mal in die Knie gehender, sie umstreichender Weichling. Dennoch redet er, wenn er denn redet, stets viel zu laut, gern im Kasernenhofton. Falk Rockstroh gibt seinen herzensguten Präparator mit verkappten pädophilen – dafür deutlichen palomophilen, er füttert gurrend unsichtbare Tauben – Neigungen stocksteif und mindestens so hysterisch, wie es der Elisabeth zugedacht war. „Wer schreit, hat unrecht!“, mahnt die Prantl, Elisabeths Chefin. „Unrecht! Jawohl“, schreit, nein, brüllt sogleich der Präparator. Immerhin, werktreu ist das, wenn auch gewiss nicht in dieser Lautstärke. Als Witzfiguren, stets in lautes Gegackere verfallend und in ebenso laute Farben – Gelbgrün und Zyklamen – gekleidet, werden auch Alexandra Henkel als die Frau Amtsgerichtsrat, Frau Prantls beste Korsagenvertreterin, freilich nur „von wegen persönlicher Zerstreuung“, und Christiane von Poelnitz als Irene Prantl an diesem Abend verbrannt.
Im letzten Bild dann aber wächst Andrea Wenzl über sich hinaus. Anfangs beteuerte sie noch, viel öfter, als von Horváth vorgesehen, sie lasse ihren Kopf nicht hängen. Nun, dem Tod geweiht, dem Ertrinken noch einmal durch den Einsatz des selbst murmelnd völlig uneigennützigen feuchten jungen Mannes – „Hallo! Mama!... Ich habe soeben einer Selbstmörderin das Leben gerettet. Tollkühn, was? Ehrensache! Kommt auch in die Zeitung, mit Fotografie, ist doch eine unbezahlbare Reklame für die Firma, so umsonst in der ganzen Presse. Aber jetzt krieg ich doch dann mein Motorrad, was?“, schreit Tino Hillebrand ins Telefon – entgangen, stirbt ihre Elisabeth, nicht mehr laut, nicht mehr hysterisch, vorn an der Rampe und doch noch ins Licht getaucht. Das rettet den Abend nicht ganz, berührt aber zu guter Letzt dennoch.