„Temistocle“ in Mannheim : Die Kräfte des Themistokles
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Netta Or, Cornelia Ptassek und Iris Kupke: Das passionierte Sängerensemble prägt diesen Opernabend Bild: Hans Jörg Michel
Johann Christian Bachs famose Oper „Temistocle“ wird im Nationaltheater Mannheim dramaturgisch amputiert. Man fragt sich, ob es der Regie überhaupt um dieses Stück geht.
Mozart liebte Bach. Nein, nicht den evangelischen Kirchenkantaten-Bach aus Leipzig, der war ihm dann doch wohl zu barock. Aber dessen jüngsten Sohn, den katholisch gewordenen Lebemann Johann Christian Bach, den er schon als Kind in London besucht hatte. Dieser galante, moderne, zu Lebzeiten auch berühmtere Bach also hatte es Wolfgang Amadeus Mozart angetan. Man kann das sogar hören, etwa jetzt in Mannheim, wo Johann Christian Bachs „Temistocle“ unter der musikalischen Leitung von Reinhard Goebel aus der Versenkung geholt wurde, in welche das Genie des Rokoko von der Nachwelt befördert worden ist. Denn die wollte einzig einen braven Thomaskantor und „fünften Apostel“ von Luthers Gnaden, wollte keinen frivolen Pragmatiker, keinen konfessionellen Rübermacher gen Bologna, Mailand, Britannien.
Johann Christian Bach verkomponierte das aufgemöbelte, modernisierte Libretto des barocken Sprachmelodikers und - mit Verlaub - Erzlangweilers Metastasio 1772 für den Mannheimer Hof, dessen Fürst Carl Theodor damals das beste Orchester und mit Anton Raaff auch den berühmtesten Tenor der Welt beschäftigte. Die melodische Fülle, der hochvirtuose Einfallsreichtum der Partitur verlangten in der Tat Spitzenkönner galanter Gefühlsmusik jener Tage. Schmankerln wie des Titelhelden Bravourarie „Non m’alletta“ sind regelrechte Solokonzerte, in diesem Fall für das dialogisierende Fagott. Dazu nutzt Bach, der daheim in London weit schwächere Musiker zur Verfügung hatte, die Mannheimer Mannigfaltigkeit mit fünf supermodernen und böhmisch beherrschten Klarinetten, Hörnern, Trompeten, Flöten. Das solide Mannheimer Opernorchester von heute intoniert auf modernen Instrumenten den wegweisenden Wohlklang dieser Musik (die noch bis in Mozarts ohnehin schwer verwandte „Clemenza di Tito“ hereinweht) sinnlich, oft sogar mit den übersinnlichen Harmonie-Utopien, die jenseits des verherrlichten Absolutismus in eine hoffentlich edlere Zukunft verweisen.
Mit Hochtempo durch die Partitur
Vor allem die Sänger prägen diesen Abend, es ist, als wollten sie passioniert mit dem Star-Ensemble von weiland konkurrieren. Es geht um den verbannten griechischen Feldherrn Themistokles, der bei seinen persischen Feinden zwischen Rache und Milde, Todesurteil und Gnade, Mitmenschlichkeit und Sklaventum oszilliert. „La clemenza di Serse“ könnte das Spektakel auch heißen.
Die aufklärerische Innigkeit dieser Versuchsanordnung können der kräftige Szabolcs Brickner in der Titelrolle, aber auch die dynamisch prächtige und leidenschaftliche Cornelia Ptassek als dessen Tochter Aspasia oder der virtuose Counter Yuriy Mynenko wundervoll evozieren. Hier singen Menschen um ihr Leben. Und wenn man das bedenkt und durchfühlt, fällt das Rokokopuppentheater in seiner vermeintlichen Niedlichkeit zusammen und offenbart echtes Drama.
Reinhard Goebel am Pult, obschon hochgelehrter Veteran der historischen Aufführungspraxis, lässt sich für all diese von Melancholie durchwehten Phrasen und reflektierenden Passagen der reduzierten Da-capo-Arien leider zu wenig Zeit. Er eilt daher mit Hochtempo und einem Einheitsforte durch die Partitur. Damit passt er sich Joachim Schloemers Regie an, die mit dem aufgeklärt-absolutistischen Hoftheater erkennbar wenig beginnen konnte.
Drastik trifft auf Schöngesang
Schloemer agiert wie ein Musikfreund, der auf der CD die störenden Rezitative einfach wegklickt, um Arie an Arie zu reihen. Der dramaturgische Zusammenhang geht bei dieser zusammengestrichenen Konzertfassung flöten. Stattdessen greift Schloemer für seinen Dekonstruktionsversuch in die Mottenkiste des Regietheaters. Er hängt seine Solisten an Stahlseile über den Orchestergraben, lässt filmisch eine verirrte Bisonherde durchs Bild galoppieren, hüllt sein Personal in trügerisches Glanzgold oder beleuchtet es mit Neonröhrenschwertern, oder er lässt einen zerhackten Schnaufchor durch einen Vielzweckturm klettern und obskure Parolen raunen. Immer wieder scheinen aus lauter Verzweiflung Grafiti auf, oder die Wände werden mit Parolen beschmiert wie: „Athen soll in seinem eigenen Blut ersaufen.“
So etwas Grimmiges mag ja ebenso heinermüllerig wirken wie die sehr aktuell herausgepfefferte Weisheit: „Die Griechen hassen uns.“ Doch was hat all diese wohlfeile Drastik mit dem noblen Schöngesang der Herrschaften von der Musikabteilung zu tun? Was - außer radikaler Ablehnung - mit dem durchaus verlogenen Fürstenspiegel des vorrevolutionären Absolutismus? Geht es der Regie überhaupt um dieses Stück?
Am Schluss der arg amputierten und ramponierten Version einer wundervollen Oper, die mehr Verständnis verdient hätte, hängt der Titelheld christusgleich und schwarzbepinselt an der Wand, während sich seine Kollegen in Jeans und T-Shirt hurtig von der Bühne machen. Vielleicht sind sie ja der Zukunftsmusik Johann Christian Bachs auf den Fersen, immer Richtung Mozart.