Theaterserie: Terrence McNally : Lässt sich das Glück erquasseln?
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Michael Shannon und Audra McDonald in einer Broadway-Produktion von „Frankie and Johnny“ am 29. Mai 2019 Bild: Picture-Alliance
Terrence McNallys „Frankie and Johnny“ ist eine Mischung aus romantischer Komödie und pathetischer Vergeblichkeitsparabel, wie geschaffen für eine Zeit allgemeiner Verunsicherung und Neuverhandlung von Geschlechterrollen.
Zwei Menschen, nicht jung, nicht schön, nicht reich, haben eine Nacht miteinander verbracht. Ein One-Night-Stand, so dachten beide, aber der Mann will nicht gehen, als der Morgen graut, er ahnt ein großes Glück, sein Lebensglück mit dieser Frau, spürt es zum Greifen nah und versucht, sie zu überzeugen, mit ihm ein Paar zu werden, aber sie will nicht, lange nicht, sie essen ein Sandwich und noch eines, und am Ende putzen sie sich die Zähne. Wer weiß, was aus ihnen werden wird. Frankie heißt sie, er heißt Johnny, und das Stück, das Terrence McNally daraus gemacht hat, „Frankie and Johnny in the Clair de Lune“, wurde damals rund um die Globus gespielt.
Damals, das waren die Jahre nach der Uraufführung 1987 in New York mit Kathy Bates und F. Murray Abraham. Damals, das waren auch die schlimmsten Jahre der Aids-Katastrophe, und kaum eine Kritik von damals lässt das unerwähnt: dass Sex und Tod selten so nah beieinanderlagen und die Frage, was wird aus uns, eine besondere Dringlichkeit annahm. Dann verschwand das Stück langsam von den Bühnen, den europäischen, den deutschen auch. In diesem Sommer nun kam es am Broadway wieder heraus, in einer auch diesmal hinreißenden Besetzung mit Audra McDonald und Michael Shannon. Aber nicht nur deshalb schien das Stück erstaunlich unverstaubt. Warum wird es auf deutschsprachigen Bühnen kaum noch gespielt, und wenn, dann nur auf ganz kleinen?
Ein Stück Glück
Vielleicht liegt es daran, dass das Kino das Stück 1991 gekapert hat, und zwar mit vollem Einverständnis des Autors, der zu Gary Marshalls seichtem und mit Michelle Pfeiffer und Al Pacino grandios fehlbesetztem Film „Frankie and Johnny“ das Drehbuch schrieb. Der Film hat erstaunlich wenig mit dem Theaterstück zu tun, ein paar Dialogsätze sind hinübergewandert, aber alles, was das Stück sehenswert macht, bleibt im Film mit seinen wechselnden Schauplätzen und dazuerfundenen Nebenfiguren auf der Strecke. Es ist ein Zwei-Personen-Stück. Es spielt in einem schäbigen Studioapartment in keiner guten Gegend von New York. Es gibt immer wieder einmal ein Stück Musik zu hören, am Anfang Bach, später unter anderem Wagner, Schostakowitsch und natürlich Debussy, wie der Titel nahelegt. Alles andere ist Dialog. Alles andere dreht sich darum, ob die miesesten Erfahrungen eines Lebens mit Versprechen, für die nur die richtigen Wörter gefunden werden müssen, überschrieben werden können. Ob wenigstens der Versuch dazu gewagt wird. Ob Wörter eine Zukunft evozieren können, von deren Möglichkeit ein Mensch, eine Frau in diesem Fall, zu überzeugen ist. Eine Zukunft zumal, in der es nicht um Materielles geht, davon können die beiden Figuren nicht einmal träumen, Johnny ist Koch, Frankie Kellnerin, beide im selben Schnellrestaurant. Es geht vielmehr einzig darum, ob die beiden ein Stück Glück zu fassen kriegen, bevor die Ahnung davon sich wieder aus dem Staub macht.
Terrence McNally, der heute achtzig Jahre alt wird, hat also ein Paradestück für eine Schauspielerin und einen Schauspieler geschrieben. Sie müssen furchtlos sein, denn das Stück beginnt mit einem gemeinsamen Orgasmus auf dunkler Bühne, spielt dann noch eine Weile im Bett oder davor, beide sind manchmal nackt, und die Sprache ist oft drastisch, wobei Johnny zum Kontrast immer wieder einmal Shakespeare oder den Thesaurus zitiert, was Frankie gewaltig auf die Nerven geht. Manchmal spricht er auch einfach nur geschwollen, weil es ihm ernst ist und er will, dass sie das mitkriegt. Das klingt dann so: „Ich will nichts weiter dafür haben, als dass du dein Bestes gibst, um mein Ein und Alles zu sein. Du kannst es. Wenn wir das füreinander tun, könnten wir unseren Kindern die Welt zu Füßen legen. Sie könnten Shakespeare sein und die schönste Musik der Welt und vielleicht ein Heiliger und ein großer Sportler und ein Präsident, alles in einer Person.“
Pathetische Vergeblichkeitsparabel
Dass Frankie daraufhin in ihr Hacksandwich beißt und sagt: „Ich bin niemandes Herzkönigin“, macht die Fallhöhe klar, mit der die Figuren kämpfen. Und das Genre: eine Mischung aus romantischer Komödie und pathetischer Vergeblichkeitsparabel, wie geschaffen für eine Zeit allgemeiner Verunsicherung und Neuverhandlung von Geschlechterrollen. Der drängende Mann, die zögernde Frau, der superschlaue Sentimentalist, die misshandelte Pragmatikerin, beide gescheitert, er nicht ohne Hoffnung, aber sie vor allem entschlossen, in Zukunft wenigstens zu ihren eigenen Bedingungen zu scheitern – diesen beiden für eine Weile zuzuschauen, zuzuhören, das wäre was. Schauspieler und Schauspielerinnen, die das spielen, die das auf Deutsch sprechen können, gibt es genug.
Die Theaterserie „Spielplan-Änderung“ stellt Bühnenstücke vor, die unbedingt wieder mehr gespielt werden müssen. Alle bisherigen Beiträge finden Sie unter faz.net/theaterserie.